: Du kannst alles fahren, auch die Wände hoch!
Mit dem Skateboard kehrt auch die Idee wieder, der Welt mit Brett unter den Füßen neue Koordinaten zu geben ■ Von Thomas Lötz
Kalifornien gilt als genau jener mythische Landstrich der westlichen Hemisphäre, in der das kreative Nichtstun eine allgegenwärtige, bedeutende Kultur ist. Eine Kultur, die auf Jugend, Sonne, vor allem aber auf der Behauptung gründet, daß man mit der Verweigerung am Tun, dem bloßen geschäftigen Aktionismus des Dollarmachens, nicht glücklich werden kann. Eine Subkultur, deren Suche nach dem geglückten Leben einen anderen Namen hat: Selbstverwirklichung. Und zwar unendlich und in immer neuen Formen. Es ist ein ständiges, exzessives Verwerfen bisher gekannter Grenzen in allen wirklich relevanten Bereichen von Jugend, Drogen, Musik, Sex und Sport.
Heute weiß in San Francisco, Los Angeles, Long Beach oder San Diego kaum mehr jemand, wann und wo es genau begann. Was sich jedoch gehalten hat, ist die Geschichte jenes Surfers, der sich eine verkleinerte Größe seines Boards auf einem Stück Holz anfertigte, Rollschuh-Achsen darunter schraubte und damit nicht mehr als das Skateboard erfand. Erst mal. Denn es gibt kein anderes Sportgerät, das die Küsten Kaliforniens jemals gesehen und dann verlassen hat und das diese bereits angesprochene Idee des Immer-Weiter an sich ist.
Die Frisbee-Scheibe, die andere Westküsten-Erfindung, hat ihre Grenzen. Im Sport. Niemand hat zum Beispiel einen wirklich wesentlichen Song über die Leidenschaft zum Scheibenschmeißen gemacht. „Possessed To Skate“ von der amerikanischen Punkband Suicidal Tendencies hingegen ist eine Hymne. Skateboard ist totale Besessenheit, ist Musik, sind Tattoos, sind Klamotten, und ist die Idee, der Welt mit dem Brett unter den Füßen ein neues Koordinatensystem zu verpassen: Du kannst alles fahren, auch die Wände hoch.
Es geschah in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, daß das Skateboard zum ersten Mal richtig mächtig nach Deutschland kam. Bezeichend ist vielleicht, daß dieser erste Boom vor allem in den Regalen der Kaufhäuser stattfand. Zwar etablierten sich in dieser Zeit eine kleine Handvoll erlesener Spezialgeschäfte, doch die boten im Gegensatz zu Hertie, Karstadt und Kaufhof auch keine Boards ab 50 Mark an.
Deutsche Kids gingen en masse auf Billigbretter, allerdings nicht allzulange. Dann brachen nicht nur etliche der Bretter durch, sondern auch die große Welle jäh ab, und das verwies auf ein ganz generelles Problem: „Junge, neue Sportarten werden recht schnell unheimlich in. Und was schnell sehr in ist, das kann sehr schnell wieder sehr out werden. Das hat auch das Skateboard hinter sich“, sagt Titus Dittmann, 47 Jahre alt, aus Münster.
Mit 30 und als Pädagogikstudent stand Titus erstmals auf dem Brett. Damals arbeitete er mit skatenden Schülern zusammen. Nach dem Ende des ersten Booms organisierte er aus Amerika den nötigen Stuff für die Jungs, gründete in Münster seinen eigenen Skateboard-Laden. Später kamen dann die Organisation von Wettkämpfen wie der jährlich wiederkehrende „Münster Monster Mastership“ und das „Monster Skateboard Magazin“ dazu. Und als er 1989 zum ersten Mal die Weltmeisterschaft in die Münsterland- Halle holte, war Deutschlands zweiter „Skateboard-Climax“ erreicht. Ebenfalls nur kurz. „92“, sagt Titus, „war Skateboard wieder total unten.“
Was die momentane, seit zwei Jahren ansteigende dritte Welle ausmacht, ist etwas, das vom Skaten nach draußen ging und jetzt wieder zurückkommt.
Schuhfirmen wie Etnies, Vans und Airwalk waren ursprünglich reine Skater-Marken, bis sie von anderen Szenen wie der tanzenden Club-Kultur oder den HipHop- Afficionados für sich entdeckt wurden. Ähnlich verhält es sich mit den Arbeiterjacken und Hosen von Carhartt und Dickies oder den T-Shirts von Skateboard-Brands wie Santa Cruz, Powell und New School. Daß das Geld kostet, und zwar nicht wenig, ist klar. Und so ist Skateboarden in Deutschland weitestgehend eine Mittelklassen- Veranstaltung, bei der die elterliche Zahlkraft über den Grad von Hippness und Dazugehörigkeit entscheidet.
In Amerika ist das schon lange nicht mehr so. Dort ist die ganze Sache im Laufe der Jahre demokratischer geworden. Fast. Es bleibt auffallend, daß vergleichsweise wenig Schwarze auf hohem Niveau fahren. Einer von ihnen ist Ray Barbee, natürlich Kalifornier, 23 Jahre alt und seit elf Jahren auf dem Brett. „Skateboarden kommt ja vom Surfen. Und die meisten Brüder haben halt nichts mit Surfen zu tun, sondern mehr mit Ballspielen. Und das andere ist: Skateboard und Surfen kommen vom Strand, und die meisten Schwarzen leben nicht dort.“
Aber Jungs wie Ray, und das wissen die, sind Vorbilder für andere. Und die werden dann wieder zu Idolen für die nächste Generation von schwarzen Skatern. Ein Prozeß, der bereits eingesetzt hat: „Ich will das nicht ,Bewegung‘ nennen, aber unser Ding wird größer und größer.“
Ein weiteres, auffälliges und globales Defizit ist das Fehlen von Frauen und Mädchen auf den Ramps dieser Welt. Sie beschränken sich auf die „Betty-Rolle“. Und das klingt nicht nur so passiv, stumpf und nach Püppchen, sondern ist es eben auch. Trag' knappe, enge, sexy Teile oder zumindest die gleichen Klamotten, die ich auch trag', und dann langweil' dich was an meiner Seite, Babe. Der Fotograf Helge Tscharn, der seit über zehn Jahren Skater knipst, sagt: „Skateboard ist wirklich ein verdammt harter Sport, der gut auf die Knochen geht. Und zeig' mir mal die Frauen im Boxen, da gibt's doch auch so gut wie keine.“
Den Frauen, so die in Skaterkreisen verbreitete Mär weiter, sei dann irgendwo doch ihr femininer Touch wichtiger. Vom Skaten kriegt man Muskeln, Schrammen und Schweiß am ganzen Körper und gewöhnt sich zudem eine rüde Ausdrucksweise an – alles Sachen, die dem skatenden Widerpart angeblich nicht gefallen könnten. Wenigstens in Amerika ist aber Änderung in Sicht.
„Ich kenne da dieses Mädchen in Florida“, sagt Ray Barbee, „die ist supergood. 16 Jahre alt und hat 'nen amtlichen Stil. Die wird uns vielleicht bald herausfordern.“ Skateboard. The story continues.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen