: Schnelle Eingreiftruppe wirbelt Staub auf
1.200 französische und britische Soldaten sollen den Zugang nach Sarajevo über den Berg Igman sichern. Die UNO will sich selbst, nicht aber die Bevölkerung der Schutzzonen schützen ■ Aus Zenica Erich Rathfelder
Alles ist voller Staub, die Kleider, die schwitzenden Gesichter. Der Staub legt sich auf die Haare, dringt durch die Ritzen der Fenster, in die Münder und die Ohren. Schon von weitem ist der Staub zu sehen, wie er von der Dorfstraße aufsteigt und sich dann über die Häuser von Pazarić legt, einem Örtchen nahe des Bergs Igman, wo der bisher einzig freie Weg nach Sarajevo abzweigt.
Von der alten Schnellstraße, die früher einmal, vor dem Krieg, bevor sie von den serbischen Truppen unterbrochen wurde, die Hautverbindung nach Sarajevo war, windet sich ein ungeteerter Weg den Berg hinauf. Der Staub wird aufgewirbelt durch die Kolonnen der UNO-Fahrzeuge, aber auch von Privatfahrzeugen, die in Richtung Sarajevo unterwegs sind. Über den Paß erreichen sie die Gemeinden Hrasnica und Butmir, dort wo der Fußgängertunnel beginnt, der die eingeschlossene Stadt mit der Außenwelt verbindet.
Seit gestern morgen hat sich die Verkehrsdichte hier schlagartig erhöht. Der ohrenbetäubende Lärm der Kettenfahrzeuge läßt die Gespräche in den Cafés von Pazarić verstummen. 16 britische Schützenpanzer und 30 leichte französische Panzer der Eingreiftruppe der Vereinten Nationen sollen auf dem Igman in Stellung gehen und die Lastwagen der UNHCR, die Lebensmittel in die Stadt bringen, schützen. Die Panzer der französischen Fremdenlegion tragen einen braunen Anstrich, der noch aus der Zeit des Golfkrieges stammen soll. Der erste Einsatz der Eingreiftruppe hat begonnen, fünf Tage lang werden 700 Briten und 500 Franzosen am Berg stationiert sein.
„Sie haben den Auftrag, sofort zurückzuschießen, wenn UNO- Fahrzeuge angegriffen werden.“ Oberst Barry Hawgood gibt sich wie alle anderen britischen Offiziere entschlossen. Die Artillerie würde abseits der Straße eingegraben werden und dann in der Lage sein, von ihren Positionen aus die serbische Artillerie zu beschießen. Solche Vorfälle wie am vergangenen Samstag, als zwei französische Soldaten durch die Artillerie der Serben getötet wurden, sollen sich nicht mehr wiederholen. „Am Dienstag morgen, spätestens, sind wir einsatzbereit.“
Daß die Eingreiftruppe dies nicht schon vorher ist, hat mit den Schwierigkeiten zu tun, die ihr die Bosnier bereiteten. Denn als sich die britische Kolonne am Sonntag nachmittag von ihrer Basis in dem kaum hundert Kilometer entfernten Vitez auf den Weg nach Sarajevo machte, mußte sie schon nach 15 Kilometern wieder stoppen.
An einem Kontrollpunkt weigerten sich Kommandeure der bosnischen Regierungsarmee, die britischen Panzer durchfahren zu lassen. Sie hatten den entsprechenden Befehl aus Sarajevo noch nicht erhalten. „Das waren Kommunikationsprobleme bei der bosnischen Armee“, erklärt Cornel Hawgood.
Die Verzögerung könnte jedoch auch politische Gründe haben. Immer wieder gab es in Sarajevo Spekulationen, ob durch den Einsatz der Eingreiftruppe nicht auch die eigene Armee behindert werden könnte. Mehmed K. ist Soldat des Ersten Armeekorps, das Sarajevo befreien soll. „Stück für Stück haben wir die serbischen Positionen zurückgedrängt, wir haben am Berg Igman und auch an anderen Stellen rings um Sarajevo Gelände gewonnen und können nun einige Straßen der Tschetniks kontrollieren.“ Er zeigt sich überzeugt davon, daß der Durchbruch nach Sarajevo in einigen Wochen gelingen wird. „Doch dazu brauchen wir die freie Straße über den Berg Igman.“ Jetzt aber kontrolliert die Eingreiftruppe den Berg.
Ganz anders sieht dies Sead. „Wenn die Soldaten der Eingreiftruppe beschossen werden, schießen sie zurück. Dann werden die Tschetniks wieder schießen und Unprofor ist dann auf unsere Seite gedrängt.“ Es sei ein Schritt in die richtige Richtung, meint er, die Schnellen Eingreiftruppen hier aufzustellen. Inzwischen hat sich der Staub und auch die Aufregung in Pazarić wieder gelegt.
Viele Bosnier sind aber auch der Meinung, daß die UNO mit der Aktion am Igman nur von den serbischen Angriffen auf die UN- Schutzzone Žepa ablenken will. „Dort kämpfen unsere Leute um ihr Überleben, denen wird jetzt nicht geholfen.
„Wir sind in der Tat nicht dazu da, den Weg nach Sarajevo für Zivilisten oder Journalisten offenzuhalten.“ Oberst Hawgood ringt sich zu einem Lächeln durch. Er ist in das britische Hauptquartier bei Vitez zurückgekehrt. „Wir werden nur zurückschießen, wenn UNO- Fahrzeuge angegegriffen werden. Wenn Sarajevo mit Artillerie angegriffen wird, hat dies nichts mit unserem Auftrag zu tun. Es gehe lediglich um den Schutz der UNO selbst, bekräftigt er. „Wir sind nicht als Kriegspartei hier, sondern wir erfüllen lediglich unseren Auftrag, die humanitären Konvois zu schützen.“
Auch im britischen Pressebüro von Vitez, wo sich die ständig neu ankommenden Journalisten aus der ganzen Welt mit neuesten Informationen versorgen, ist angesichts des ersten Einsatzes der Eingreiftruppe viel Staub aufgewirbelt worden. Da er sich aber langsam legt, ist zu erkennen, daß die Aktion der Schnellen Eingreiftruppe keineswegs eine Antwort der Weltgemeinschaft auf die serbischen Angriffe auf die bosnischen Enklaven ist. „Mit Žepa und Srebrenica hat unsere Aktion nichts zu tun,“ bestätigt Oberst Hawgood.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen