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Schwierigkeiten mit dem Frieden

El Salvadors ehemalige Guerilla-Kämpfer drei Jahre nach Ende des Krieges  ■ Aus San Salvador Ralf Leonhard

„Ob sich der Kampf gelohnt hat?“ Salvador Figueroa muß einen Moment nachdenken: „Für uns ehemalige Kämpfer wohl nicht, für die Gesellschaft, glaube ich, schon. Schließlich wurden eine Menge Reformen in Gang gesetzt, die Institutionen des Staates, vor allem die Polizei, wurden demokratisiert ...“ Doch gleich schränkt er wieder ein: „Die Ursachen, die einst zum bewaffneten Kampf geführt haben, sind noch lange nicht beseitigt: das Elend, die ungerechte Verteilung des Reichtums“.

Figueroa, der im Krieg auf das Pseudonym „Nicolas“ hörte, hat noch Glück gehabt: Er verlor 1984 bei einem Hinterhalt auf dem Vulkan Chaparrastique bei San Miguel zwei Finger der linken Hand. Die meisten, die während des Gesprächs durch die Gänge der Salvadorianischen Vereinigung der Kriegsversehrten (ASALDIG) eilen, sind weit schlechter dran. Sie schleppen eine Beinprothese hinter sich her, gestikulieren mit einem Armstumpf oder tasten sich mit einem Blindenstock voran. ASALDIG hat nicht weniger als 4.200 Mitglieder.

Einige stecken noch in einem Ausbildungs- oder Rehabilitationsprogramm in der Hauptstadt, die meisten sind aber in ihre Gemeinden integriert und widmen sich, soweit ihre Behinderung es zuläßt, der Landwirtschaft. Zum Beispiel der 25jährige Jorge Alberto Lopez, dem im Jahre 1985 bei einem Gefecht am Guazapa- Vulkan der rechte Arm zerschmettert wurde. Noch im Feldlazarett wurde er von einem mexikanischen Arzt, der später bei der Großoffensive 1989 ums Leben kam, amputiert. Aber erst zwei Jahre später konnte der Invalide aus dem Land gebracht werden. Den Rest des Krieges brachte er in einem Rehabilitationslager in Kuba und mit politischer Arbeit in Nicaragua zu.

Nach dem Friedensabkommen vom Januar 1992 schloß er sich wieder den alten Compañeros an, um in den Genuß der in den Verträgen vorgesehenen Starthilfe zu kommen. Jorge Alberto lebt jetzt in der Gemeinde La Mora am nördlichen Fuß des Guazapa-Massivs, acht Kilometer westlich der Kreisstadt Suchitoto. Er trägt keine Prothese, weil der Stumpf zu kurz ist. Doch kann er mit der linken Hand inzwischen perfekt schreiben und die Feldarbeit verrichten.

Wegen der Dürre ging ihm im letzten Jahr die gesamte Ernte verloren – und dabei hatte er schon kaum ein Fünftel seiner zweieinhalb Hektar mit Mais bepflanzt. Für eine größere Ernte müßte er sich verschulden, ein Gedanke, der ihm Unbehagen bereitet. Schon jetzt steht er mit 72.000 Colones (rund 12.500 Mark) bei der Bank in der Kreide – ein Kredit für seine Parzelle, das Haus und die Produktion. Haus und Grundstück kann er in zwanzig Jahren abzahlen, doch die Produktionsdarlehen sind nach einem Jahr fällig. „Wer einmal in Verzug gerät, der bekommt das nächste Mal keinen Kredit mehr“, sagt er.

In La Mora leben ehemalige Guerilleros und deren soziale Basis, die in der „Resistencia Nacional“ organisiert waren. Die RN ist inzwischen mit dem ehemaligen Guerilla-Flügel ERP und der sozialdemokratischen MNR in der „Demokratischen Partei“ aufgegangen. Doch auf dem Land firmiert sie noch unter dem alten Namen und unterhält ihre eigenen Strukturen. Zum Beispiel das „Komitee für den Wiederaufbau und die sozioökonomische Entwicklung der Gemeinde Suchitoto“, kurz CRC, die von einem halben Dutzend ausländischer regierungsunabhängiger Organisationen und der Europäischen Union gesponsert wird. Die Gelder, die teilweise als Schenkungen kommen, werden dann in Rotationsfonds umgewandelt und als günstige Kredite an die Basis weitergegeben. Zum Teil sind sie für Aufforstungsprojekte auf den Hängen des Guazapa bestimmt, wo die Armee auf der Suche nach den Guerilleros die Wälder niederbrannte.

Wegen der Entwaldung sind die Niederschläge sehr unregelmäßig, viele Bauern haben Mißernten eingefahren und können die fälligen Rückzahlungen nicht leisten. „Etwa 35 Prozent sind im Verzug“, weiß Alfonso Rivas, der Vorsitzende der CRC, „das ist viel. Aber im Osten, in San Miguel und Morazan, ist praktisch die ganze Ernte verdorrt.“

Auch in der Genossenschaft „La Bermuda“, wo die Bauern mit ökologischen Methoden experimentieren, war die Ernte letztes Jahr katastrophal. La Bermuda gehört zur Siedlung „Las Americas“, 36 Kilometer nördlich von San Salvador, und wird von 117 Familien der FPL bewohnt, der „Volksbefreiungskräfte“.

Marco Villalta, ein 44jähriger Campesino aus San Vicente, stellt gerade schwarze Säckchen mit Baumsamen in ein Beet. Nicht nur schnell wachsende Bäume wie Eukalyptus und Leucaena sollen hier gepflanzt werden, sondern auch bodenständige Sorten und Edelhölzer. Unterstützt wird das Projekt von niemandem. „Die Partei hat uns im Stich gelassen. Hier kümmert sich keiner um uns“, klagt der schnauzbärtige Villalta, der sich gern für einen Plausch in den Schatten setzt. „Wenn wir wüßten, an wen wir uns wenden können, hätten wir vielleicht auch eine Finanzierung bekommen.“

„Las Americas“ hat noch immer nicht das versprochene Land bekommen. Von 120 Hektar Grund, die praktisch schon übergeben waren, wurden 32 wieder weggenommen, weil die Verkäufer im letzten Moment ihre Papiere zurückzogen. „Das sind Tricks der Regierung, die den Grundeigentümern einredet, sie sollen nicht verkaufen“, meint der FPL-Veteran. Jedenfalls wird erst wenig ausgesät. Von den ehemaligen Guerilleros werden viele kein Geld mehr auf Pump bekommen, nachdem sie schon den ersten Kredit verjubelt haben. Nach Jahren der Entbehrungen in den Bergen konnten sie den Versuchungen der Konsumgesellschaft nicht widerstehen, kauften modische Kleidung, Schuhe und Fernseher oder versoffen das Geld einfach. „Hier fehlte die nötige Orientierung der Partei“, versichert Villalta, der sich von den Verlockungen der Stadt lieber fernhält: „Ich bin jahrelang mit einer Uniform und einer Garnitur Kleider ausgekommen. Mehr brauche ich jetzt auch nicht.“

Marcos Villalta ist mit dem Ergebnis von fast 20 Jahren bewaffnetem Kampf und zwölf Jahren offenem Bürgerkrieg nicht voll zufrieden. „Der Kampf hat sich wohl gelohnt. Es sind zwar wichtige Reformen in Gang gesetzt worden, aber unser Ziel einer gerechteren Gesellschaft haben wir noch nicht erreicht.“ Er will nicht ausschließen, daß sich die Dinge so zuspitzen, „daß es wieder zum bewaffneten Kampf kommt“.

Die FMLN-Leute stehen mit ihrer Kritik nicht alleine da. Auch die Vereinten Nationen, für die El Salvador einer der erfolgreichsten Einsätze ihrer Geschichte war, haben viel auszusetzen. Generalsekretär Butros Ghali konstatierte in seinem jüngsten Bericht, daß die Armee, die bei den Friedensverhandlungen große Konzessionen machen mußte, den Prozeß sabotiere, wo es nur geht. Sie verzögerte die Auflösung der repressiven Sicherheitskräfte, verweigerte über lange Zeit die Pensionierung kompromittierter Offiziere und schmuggelte Leute mit finsterer Vergangenheit in die neue Zivilpolizei El Salvadors.

Dadurch sei die Polizei nicht so gefestigt, wie sie sein sollte: „Mehrmals ist sie außerstande gewesen, gewalttätige Demonstrationen in Schach zu halten.“ Wenn sich die Absolventen der Polizeiakademie überfordert fühlten, riefen sie die Armee, die sich aus Problemen der Inneren Sicherheit herauszuhalten hat. Im November 1994 gab es drei Tote, als die Soldaten zur Unterstützung der Zivilpolizei gegen eine Protestaktion der Busunternehmer gerufen wurden, heißt es in dem Bericht vom 24. März.

Am 30. April zog ONUSAL, die UNO-Mission für El Salvador, das Gros ihres Personals ab. Nur noch ein kleiner Stab von 20 Leuten bleibt bis zum 31. Oktober im Lande. Bis dahin sollen die noch offenen Punkte des Friedensabkommens erfüllt sein. Es geht vor allem um Reformen im Justizsystem, ein neues Strafrecht und eine neue Strafverfahrens- und Strafvollzugsordnung, die Stärkung des Wahltribunals, die Landverteilung, die bei den ehemaligen Soldaten noch weniger fortgeschritten ist als bei den Ex-Guerilleros, und die Auszahlung der noch fälligen Kredite.

Doch die wenigsten sprechen gern über die Friedensabkommen oder gar die Kriegsjahre. Als wollte sie die verlorenen Jahre aufholen, ist die salvadorianische Gesellschaft in Windeseile zur Tagesordnung übergegangen. An allen Ecken und Enden wird gebaut, neue Shopping-Center und Fast- Food-Restaurants schießen aus dem Boden wie Pilze nach dem Sommerregen, und die Vergnügungsindustrie expandiert schneller als die Produktion.

Trotz ein paar neuer Entlastungsbrücken platzt San Salvador zur Stoßzeit unter dem sprunghaft angewachsenen Verkehr aus den Nähten. Die Arbeitsbesprechung vom Mobiltelefon im Stau ist fast schon genauso selbstverständlich wie in New York oder Berlin. Analytiker an der Jesuiten-Universität haben bereits einen neuen Unternehmertyp ausgemacht: Anders als die Vertreter der alten Oligarchie mit ihrer verbohrten Ideologie seien die neuen Investoren nur auf schnellen Gewinn aus.

Die Entideologisierung macht auch vor den Medien der FMLN nicht halt. Radio Venceremos, dessen Sender in den Bergen von Morazan einst Ziel großangelegter Armeeoperationen war, dudelt heute nichtssagende Musik und legt auf Wunsch von Hörern die Lieblingsplatte mit Geburtstagsgrüßen auf. Und ehemalige Comandantes versuchen sich auf dem kapitalistischen Markt mit Servicebetrieben einzubringen.

Die Normalität des Alltags wird allerdings getrübt durch ein fatales Vermächtnis des Krieges. Eine Kultur der Gewalt, verschärft durch den freien Zugang zu Kriegswaffen. Eine Kalaschnikow ist heute genauso leicht zu organisieren wie ein Schweizer Taschenmesser. Von den 300.000 Waffen in Händen von Zivilisten sind kaum mehr als 40.000 registriert. Nach Polizeiangaben sind im vergangenen Jahr nicht weniger als 9.135 Menschen durch Waffengewalt zu Tode gekommen, das sind sind 1,04 Morde pro Stunde – mehr als während der Kriegsjahre durchschnittlich der politisch motivierten Gewalt zugeschrieben wurden. Bewaffnete Überfälle auf offener Straße, Raubmord und Kidnapping sind so alltäglich geworden, daß immer mehr Salvadorianer nach der Todesstrafe rufen – was die regierende rechte ARENA- Partei im kommenden Jahr auch durchsetzen will.

Sie wird unterstützt von Todesschwadronen wie dem „Schwarzen Schatten“, einer von 13 Organisationen, die sich der „sozialen Säuberung“ verschrieben haben – nach eigenen Angaben hat der „Schwarze Schatten“ schon 30 „Kriminelle“ umgebracht. Am Wochenende waren 14 Mitglieder der Gruppe festgenommen worden. Vorgestern wurde gegen sie Haftbefehl erlassen – ein einmaliger Vorgang. Bislang war allgemein davon ausgegangen worden, daß die Todesschwadronen ihre Informationen aus Polizeiakten bezogen, ja daß es sich beim „Schwarzen Schatten“ um Polizisten handelte.

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