: Krieg der Pidebäcker
■ Anklage wegen Schwarzarbeit beim Weißbrotbacken / 700.000 Fladen, aber von wem?
Wer formte die 700.000 Fladen, die der türkische Großbäcker Mustafa Ü. alljährlich in Bremen verkauft? Dieser Frage mußte sich der 32jährige Geschäftsführer der Brotfirma gestern vor Gericht stellen.
In mindestens 48 Einzelfällen soll er nichtsozialversicherte Arbeitnehmer beschäftigt haben, ihre Löhne verkürzt oder gar nicht angegeben haben. Die AOK hatte für die Jahre 1989 bis 1992 einen Betrag von 164.000 Mark fehlender Sozialbeiträge errechnet. Bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug oder Geldstrafe kann die Anklage auf „Beitragsvorenthaltung in Tateinheit mit Betrug“ nach sich ziehen.
Verständlich, daß kaum, nachdem er Platz genommen hatte, des Bäckers Anwalt versuchte, das Gericht von der Überflüssigkeit des Prozesses zu überzeugen. Der Sachverhalt sei geklärt, die Nachzahlung an die AOK erfolgt. 1993 hatte sich die AOK in einem Vergleich mit Mustafa Ü. auf die Zahlung von 57.000 Mark geeinigt. Nach jahrelangem Widerspruch hatte Mustafa gezahlt. „Wahrscheinlich angesichts des nahenden Prozeßtermins“, vermutet die Staatsanwältin. Die Buchung ging erst vorgestern bei der AOK ein.
Gerecht fand Mustafa Ü. aber die Forderung auch gestern nicht. Er arbeite rund um die Uhr, beteuerte er, bevor ihn sein Anwalt zurückhielt. Das war nun wirklich kein guter Zeitpunkt, sich zu beschweren. Sein Antrag aber, das Verfahren einzustellen, scheiterte trotzdem. „Nicht bei diesen Summen“, erklärte Staasanwältin Schaefer trocken und ergänzte, daß der Angeklagte offensichtlich auch nach Vergleichsabschluß noch in gehabter Form weiteragiert hätte: Bei einer Kontrolle der Gewerbepolizei stellte diese in der Brotfabrik am 23.11.94 einen Bulgaren, der nicht sozialversichert war. Gleichzeitig hatten sich angesichts der Polizei zwei Männer aus dem Staub gemacht.
Was die in seiner Firma gesucht haben, will Mustafa Ü. nicht wissen. Er habe allein den Bulgaren, und zwar für einen Tag beschäftigt, da er selbst todmüde war und die Brote nicht ausfahren konnte. Den Mund der Staatsanwältin umspielte ein Lächeln. Schließlich waren bei Kontrollen der Polizei immer wieder dieselben inoffiziellen Mitarbeiter in der Bäckerei überrascht worden.
Der Richter zäumte daraufhin das Pferd von hinten auf. Er legte die vom Bäcker heute sozialversicherten vier Stellen plus Aushilfskraft zugrunde. Da der jährliche Umsatzerlös von einer halben Million Mark über die Jahre ebenso konstant geblieben war wie die Menge an Mehl, fragte er zurück, ob Mustafa Ü. auch dieselbe Zahl an Arbeitskräften früher gebraucht habe. Der bejahte arglos. Mit spitzer Feder und Hilfe eines Gutachters errechnete der Richter nun einen Fehlbetrag von etwa 90.000 Mark für die zurückliegenden Jahre. Dabei berücksichtigte er, daß möglicherweise nicht alle Stellen immer sozialversicherungspflichtig waren.
Noch einmal hob der Rechtsanwalt an, man möge das Verfahren angesichts schon geleisteter Zahlungen einstellen. „Mein Mandant wird förmlich gejagt von den Behörden“, schimpfte er, die dauernden folgenlosen Kontrollen aber hätten den türkischen Bäcker im Glauben gelassen, es sei alles in Ordnung. Mustafa Ü. beteuerte Unschuld. Er arbeite rund um die Uhr, und das betreffe auch seine Familie, die ihm beim Backen hilft: „Ich habe schon meinen Vater kaputtgenmacht, meine Mutter, und meine Ehefrau auch. Aber der Staat haut richtig drauf.“
Tatsächlich ist die Konkurrenz unter den sechs türkischen Großbäckern Bremens scharf. Bietet einer sein Pide fünf Pfennig unter Normalpreis an, springen die Kunden sofort über zum Billiganbieter. Versuchte Preisabsprachen zwischen den Bäckern seien sämtlichst gescheitert, erklärt Mustafa Ü. auf dem Flur. Dumpinglöhne von 7 Mark, bestätigt der Gutachter, seien „in diesem Milieu die Regel“.
Doch das Gericht blieb unerbittlich. Dem Antrag der Staatsanwältin folgend verurteilte es den Pidebäcker zu zehn Monaten Haft auf Bewährung. Selbst die wurde nur eingeräumt, weil auf den vorstrafenfreien Angeklagten noch ein steurrechtliches Verfahren erwartet. Außerdem bemängelte der Richter, daß die Behörden entgegen der Kontrollergebnisse jahrelang nichts unternommen hätten. „Es kann nicht im Sinne des Gerichtes sein, daß man jahrelang mit Ihnen rumgemuddelt hat und dann mit der großen Klatsche zuschlägt.“ dah
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen