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Zwei Einschüsse in der Schläfe

Eine Flugzeugentführung von Managua nach Kolumbien zeigt, wie stark Nicaragua schon in die Fänge der Drogenmafia geraten ist  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Mord, Flugzeugentführung, Kokain und Waffenschmuggel sind die Bestandteile eines Dramas, das offenlegt, wie fest Nicaragua bereits in das Geflecht des internationalen Drogenhandels verstrickt ist. Die Geschichte begann am letzten Sonntag im Juli, als Unbekannte in Managua eine Cessna der privaten Fluggesellschaft „Costeña“ charterten. Angeblich für die Aufnahme eines Dokumentarfilms an der nicaraguanischen Atlantikküste. Die Flugunternehmer stellten keine Fragen, als der Mietpreis von 3.500 Dollar im voraus und bar bezahlt wurde.

Am nächsten Tag wurde die Maschine als abgängig gemeldet: In Bluefields an der Karibikküste war die Cessna nie angekommen, für einen Unfall gab es keinerlei Hinweise. Vielmehr stellte sich bald heraus, daß die „Vereinigung der Naturfreunde“, in deren Namen die Charterer aufgetreten waren, gar nicht existiert. Die einmotorige Propellermaschine mit einer Reichweite von 1.600 Kilometern, sechs Tonnen Ladekapazität und Platz für 16 Passagiere, eignet sich bestens für Drogentransporte.

Der Verdacht, daß die Cessna von der Drogenmafia entführt und für den Transport von Kokain eingesetzt worden sei, wurde für die nicaraguanischen Behörden zur Gewißheit, als in Zipaquira, eine Stunde nördlich der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, die Leiche des Piloten Andres Narváez mit zwei Einschüssen in der Schläfe gefunden wurde. Das Flugzeug tauchte wenige Tage später in Villavicencio, vier Stunden südöstlich von Bogotá, auf, wo es gerade frisch gestrichen wurde.

Alfredo Caballero, der Eigner der Luftlinie, die vor allem zwischen Managua und den Städten der nicaraguanischen Atlantikküste verkehrt, ist ein gebürtiger Kubaner, der nach dem Sturz des Diktators Fulgencio Batista im Jahre 1959 nach Nicaragua floh, zwei Jahre später als Pilot an der gescheiterten Schweinebuchtinvasion teilnahm und sich schließlich aus der Politik zurückzog, um Unternehmer zu werden.

1986 wurde er in Miami mit 400 Kilogramm Kokain im Gepäck festgenommen, später aber im Gegenzug für belastende Aussagen gegen den panamaischen Diktator Manuel Antonio Noriega freigelassen. Die Entführungsaktion, so wurde spekuliert, könne ein Racheakt der von ihm angeschwärzten Drogenhändler sein. Auch der ermordete Pilot allerdings war kein Unbekannter: Er machte 1986 Schlagzeilen, als er samt einem AN-2-Flugzeug der sandinistischen Luftwaffe desertierte. Während der Exilzeit soll er Transporte für die anti-sandinistischen Contras geflogen haben.

Bevor die nun Untersuchungen abgeschlossen waren, wurde ein weiterer Pilot als abgängig gemeldet: Salvador Mayorga, der, wie sich herausstellte, bei einem Zwischenstopp der entführten Maschine auf der Insel Ometepe im Nicaraguasee das Steuer übernahm. Er war von Jorge Guerrero, einem ehemaligen Oberstleutnant der sandinistischen Armee, auf dem Land- und Seeweg dorthin gebracht worden.

Guerrero, alias „der Rabe“, fungierte lange Zeit als Chef der Leibwächter von Expräsident Daniel Ortega. Vor der Polizei sagte er jetzt aus, er sei Kollaborateur der zapatistischen Rebellen im mexikanischen Chiapas und ließ durchblicken, das Flugzeug hätte für Waffentransporte eingesetzt werden sollen.

Während die mexikanische Botschaft in Managua jedoch keinerlei Hinweise auf Waffenschmuggel von Nicaragua nach Mexiko hat, gibt es Indizien, wonach Guerrero seit langem Kontakte zur Drogenszene hat. Seine Lebensgefährtin ist die Sängerin Martha Vaughn, eine Schwester von Francisco Vaughn, einem ehemaligen Mitarbeiter des Innenministeriums, der vor zehn Jahren Kokaintransporte des Kartells von Medellín via Nicaragua einfädelte.

Die entführte Maschine flog zunächst nach Norden, machte Station in Belize, wo Mayorga aussteigen mußte, und drehte schließlich nach Süden ab. Die kolumbianischen Behörden versuchen herauszufinden, mit welcher Ladung sie ankam und welche Personen sich an Bord befanden. Die nicaraguanische Polizei schließt nicht aus, daß Funktionäre der hiesigen Regierung verwickelt sein könnten und daß der Pilot Narváez sterben mußte, weil er jemanden erkannte.

Ermordet aufgefunden wurde mittlerweile auch der Mann, der die verschwundene Cessna zuletzt gewartet hatte: der 35jährige Leoncio José Cubillo, ein Angestellter in einem Hangar der Linie Costeña. „Die Drogenhändler verwischen ihre Spuren“, mutmaßte eine Tageszeitung.

Die organisierte Gewalt der Drogenmafia ist in Nicaragua etwas qualitativ Neues, auf das Polizei und Armee nicht vorbereitet sind, wie Oberst Hugo Torres, der Chef des militärischen Nachrichtendienstes zugab. Nach seinen Informationen ist die Rauschgiftmafia in Zentralamerika regional organisiert.

Während der sandinistischen Zeit 1979 bis 1990 machten die Drogenkartelle kaum Versuche, in Nicaragua Fuß zu fassen. Mit dem politischen Umschwung kam auch das organisierte Verbrechen. Ein großes, schlecht erschlossenes Territorium, unzureichend ausgerüstete Sicherheitskräfte, schlecht bezahlte, bestechliche Beamte und die geographische Lage auf halbem Weg zwischen Kolumbien und den Vereinigten Staaten machen Nicaragua zu einem geradezu idealen Drogenumschlagplatz. Der Krimi um die Entführung der Costeña-Maschine könnte da gerade erst der Anfang gewesen sein.

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