Der Auto-Primus greift an

Warum die Gründerfamilie Toyoda zum zweiten Mal in hundert Jahren das Steuer von Toyota aus der Hand gab  ■ Aus Tokio Georg Blume

Japans größter Automobilhersteller Toyota zählt nicht gerade zu den Unternehmen, die als unberechenbar gelten. Doch das konservative Image, das sich der global player aus dem japanischen Provinznest Toyota über die vergangenen Jahrzehnte zugelegt hatte, unterlag vergangene Woche einer deutlichen Korrektur: Aus heiterem Himmel verkündete die Gründerfamilie einen Führungswechsel bei Toyota, der nach dem sanften Intellektuellen Tatsuro Toyoda einen deftigeren Managertyp in den Chefsessel liftete. Der neuerkore Steuermann heißt Hiroshi Okuda, 62, und verspricht mehr als eine reibungslose Ablösung an Bord des Flaggschiffs der japanischen Automobilindustrie. „Alle, die sagen, ich sei ein Konservativer, täuschen sich über die Radikalität meines Wesens“, warnte der Toyota-Boß noch am Tag seiner Ernennung.

Für das hundertjährige Familienunternehmen markiert Okudas Aufstieg einen Epochenwechsel. Seit der Gründung des Spinnradherstellers Toyota im Jahr 1894 hatten – mit nur einer Ausnahme nach dem Krieg – ausnahmslos Mitglieder der Toyoda-Familie das Unternehmen geführt. Tatsuro Toyoda hatte erst 1992 von seinem älteren Bruder Shoichiro das Kommando übernommen und sollte noch weiter fünf Jahre im Amt bleiben – bis in diesem Jahr alles anders kam als gedacht. Es begann mit dem steigenden Yen- Kurs, der Japans Exporte verteuerte und auch bei Toyota auf die Profite drückte. Dann folgten zurückgehende Verkaufszahlen für Toyota in Japan und eine schwere Erkrankung von Tatsuro Toyoda, die ihn bis heute ans Bett bindet. Alles zusammen aber machte die Wende bei Toyota möglich.

Okudas überraschende Ernennung zum Firmenpräsidenten kann kaum einem Autohersteller in Europa und Amerika gleichgültig sein. Auf den ersten Blick ist der neue Toyota-Chef freundlich, gewandt und entgegenkommend, im Gegensatz zu seinen eher verschlossenen Vorgängern aus der Toyoda-Familie. Doch mit dem auslandserfahrenen Manager, der nicht als Ingenieur, sondern als Finanzmann in der Firma aufstieg, steht nun ein rücksichtsloser Kostensenker an der Spitze des Konzerns, der ohnehin der effizienteste Autohersteller der Welt ist. Was also soll es bedeuten, wenn Okuda verspricht, ein „junges, vitales und dynamisches“ Toyota zu schaffen?

Schon auf seiner ersten Pressekonferenz setzte Okuda für Toyota ein neues, von nun ab vorrangiges Ziel: die „Beschleunigung der ausländischen Produktion“. Deutlicher konnte kaum gesagt werden, daß Toyota den Wettbewerb auf seinen amerikanischen und europäischen Auslandsmärkten gründlich verschärfen will – zum denkbaren Leidtragen auch der deutschen Hersteller. Mit Rücklagen über 38 Milliarden Mark stehen dem Toyota-Konzern fast unerschöpfliche Investitionsreserven für den Ausbau seiner Auslandsproduktion zur Verfügung. Während andere japanische Automobilunternehmen bei einem derzeitigen Umtauschkurs von 92 Yen zum Dollar auf dem amerikanischen Markt bereits Schwierigkeiten haben, Gewinne einzufahren, sieht der Automarktspezialist Koji Endo von der US- Bank Morgan Stanley bei Toyota die Schmerzgrenze bei einem Umtauschkurs von 52 Yen zum Dollar. Nichts scheint Toyota davon abhalten zu können, seinen Kostenvorsprung auch im Ausland stärker auszunutzen. Und doch türmen sich daheim in Toyota-Stadt schwer lösbare Probleme, ohne die Okuda nicht gerufen worden wäre.

Seines Zeichens hatte der neue Firmenchef vor einigen Monaten eine Studie in Auftrag gegeben, die prüfen lassen sollte, ob und wie Toyota in den nächsten Jahren eine Fabrik in Japan schließen könnte. Die Nachricht von der Studie machte nicht nur weltweite Schlagzeilen, sie löste auch unmittelbaren Protest bei Regierung und Gewerkschaften in Japan aus. Die nämlich fragten sich, wo sie hinkämen, wenn ausgerechnet das im letzten Jahr profitabelste Unternehmen der Nation damit beginne, an Japans unausgesprochenem Geselschaftsvertrag zu rütteln, der vorsieht, daß große Firmen hierzulande keine Arbeiter entlassen. Auf Toyota- Seite macht Okuda heute freilich eine ganz andere Rechnung auf: Die sieht nämlich vor, daß die Autoproduktion in Japan bis 1998 um etwa 10 Prozent sinken wird und die Autohersteller der Dollar- Falle in Zukunft nur entkommen können, wenn sie mehr Autos im Ausland herstellen lassen. Toyota betrifft das in erster Linie, da das Unternehmen erst 50 Prozent seiner im Ausland verkauften Wagen auch in Übersee herstellen läßt. Wenngleich das für deutsche Verhältnisse schon fortschrittlich erscheint, ist der Erzkonkurrent Nissan hier mit einem entsprechenden Anteil von 65 Prozent vorausgeeilt. Alles aber läuft darauf hinaus, daß Toyota in Japan erstmals Stellen abbauen müßte. Branchenbeobachter Endo sieht das ähnlich: „Bis 1998 sollten in Japan mindestens zwei Autowerke mit ungefähr 4.000 Angestellten geschlossen werden.“ Schon werden in manchen Toyota-Werken keine Schichten mehr gefahren. Erst im Mai wurde die Produktion in vielen Werken erneut heruntergesetzt. Für Branchenexperten gelten die 38.000 Arbeitsplätze von Toyota nicht mehr als unantastbar.

Genau das aber waren sie bis heute. Auch der Abbau weniger Stellen könnte viele Toyota-Mitarbeiter nachhaltig verunsichern. Schließlich wurden die moderne Gruppenarbeit und das Lean-Management bei Toyota wenn schon nicht erfunden, dann doch erstmalig im umfassenden Sinne realisiert. Mehr als jede andere japanische Firma zieht Toyota deshalb seine Identität aus einer Symbiose von Management und Arbeiterschaft. Ist es schon das Ende des japanischen Wegs, wenn Hiroshi Okuda heute betont, Toyota sei kein Wohlfahrtsunternehmen? Oder will Okuda den Weg Toyotas über ausländische Einflüsse neu definieren? Die Antworten auf diese Fragen könnten die Zukunft der weltweiten Autoindustrie in den nächsten Jahren prägen.

(Siehe auch Kommentar Seite 10)