: Drei-Fronten-Krieg auf dem Balkan
Die bosnisch-kroatischen Truppen und die bosnische Regierungsarmee sind weiter auf dem Vormarsch. In Dubrovnik stehen 10.000 kroatische Soldaten zum Angriff bereit ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder
Die serbisch-bosnischen Truppen geraten in Bosnien unter immer stärkeren Druck der bosnischen Regierungsarmee und der kroatisch-bosnischen Truppen HVO. Es kristallisieren sich drei Kampfgebiete heraus: Erstens die Region um die westbosnische Stadt Drvar, 80 km südlich von Bihać, zweitens die zentralbosnische Stadt Donji Vakuf und drittens die Gebiete Südbosniens, die in der Nähe der kroatischen Hafenstadt Dubrovnik liegen.
Kroatische Quellen meldeten die Einnahme der Stadt Drvar, serbische Quellen widersprachen dem. Unbestreitbar ist jedoch, daß kroatische Einheiten von dem südlich gelegenen Städten Bosansko Grahovo und Glamoc auf Drvar vorgestoßen sind. Die Zivilbevölkerung — mehr als 2.000 Personen — dieser fast ausschließlich von Serben bewohnten Stadt ist nach serbischen Angaben evakuiert worden. Das umkämpfte Gebiet in Westbosnien, das fast ausschließlich von Serben bewohnt ist, hat für beide Seiten eine große strategische Bedeutung. Die kroatische HVO und die bosnische Regierungsarmee wollen einen direkten Korridor zu dem Gebiet um Bihać herstellen. Gelänge den Kroaten hier die Eroberung, wäre der Weg nach Norden, in Richtung Bosanski Petrovać und damit Bihać offen. Die Kroaten sind zudem daran interessiert, den Serben die Möglichkeit zu nehmen, von bosnischem Boden aus Angriffe auf die Krajina durchzuführen. Eine Niederlage hier zwänge die Serben zudem, sich auf Banja Luka zurückzuziehen.
Bosnische Regierungstruppen versuchen nun, die von Serben gehaltene zentralbosnische Stadt Donji Vakuf einzukesseln, was ihnen offenbar gelungen ist. Nach einem Durchbruch der bosnischen Truppen bei Donji Vakuf wäre der Weg in die im November 1992 verlorene Stadt Jaice offen. Bei dieser Militäraktion drücken sich auch Rivalitäten zwischen den beiden verbündeten Armeen aus. Beide Seiten, die kroatische HVO und die Regierungstruppen, wollen Jaice zuerst von den Serben zurückerobern. Denn wer Jaice kontrolliert, spielt bei den folgenden Rückeroberungen die größere Rolle. Von Jaice aus ist ein Vorstoß auf Banja Luka möglich. Die bosnischen Regierungstruppen möchten zudem die Straße Jaice-Bihać in die Hand bekommen, um unabhängig von den Kroaten, Bihać mit Zentralbosnien zu verbinden. Das Kraftwerk in Jaice ist überdies die wichtigste Energiequelle für die Serbengebiete Nordwestbosniens, die Kontrolle des Kraftwerks also ein wichtiges Faustpfand.
In der Region um Dubrovnik hingegen spielen solche Rivalitäten keine Rolle. Hier ist die kroatische Armee dabei, 10.000 Mann für einen Angriff auf die mehrheitlich von Serben bewohnte südbosnische Stadt Trebinje zusammenzuziehen. Von Trebinje aus hatten die serbischen Streitkräfte Dubrovnik immer wieder mit Artillerie beschossen. Es geht den Kroaten darum, diese Artilleriestellungen auszuschalten, um das Leben in Dubrovnik wieder sicher zu machen. Außerdem bedeutet der Angriff auf Trebinje, daß den Spekulationen über ein geheimes Tudjman-Milošević-Abkommen zur Aufteilung Bosniens der Boden entzogen wird. Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić forderte noch am Donnerstag Tudjman auf, seine Versprechungen bezüglich des kroatischen Gebietes südlich von Dubrovnik zu halten. Dieses Gebiet sollte nach serbischen Vorstellungen der serbischen Republik in Bosnien eingegliedert werden; die bosnischen Serben bräuchten einen Zugang zum Meer. „Tudjman bricht jetzt sein Wort“, erklärte Karadžić. Mit der kroatischen Offensive wird den Serben dieser Zugang verbaut.
Unterdessen kündigte der Sprecher der UN-Truppen in Kroatien, Chris Gunnes, den Rückzug von Blauhelmen in Kroatien an. In Ostslawonien, wo russische Einheiten ihren Dienst tun, ist von einem Abzug jedoch nicht die Rede.
Nach der Vertreibung der Kroaten aus Banja Luka ist eine erste Gruppe von 53 Muslimen aus der Region in der zentralbosnischen Stadt Turbe eingetroffen. Dies berichtete das bosnische Fernsehen. Nach der Vertreibung der rund 12.000 Kroaten werden nun auch die verbliebenen Muslime zur Flucht gezwungen.
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