: Digitales Nullsummenspiel
■ ARD und ZDF möchten gern ins digitale Fernsehen - nur kosten darf es nichts. Leo Kirch hat derweil schon eine Million digitaler Decoder in Auftrag gegeben
Die Internationale Funkausstellung mit ihrem Einstieg ins Multimediazeitalter kommt für die Öffentlich-Rechtlichen einfach zu früh. Während Leo Kirch pünktlich zum IFA-Start bekanntgab, daß er bei der Firma Nokia gerade eine Million digitale Decoder bestellt hat – geschätzte Investitionskosten: mindestens 500 Millionen – wissen ARD und ZDF immer noch nicht, ob sie in den nächsten Jahren auch nur eine müde Mark fürs Digitale übrig haben werden. ZDF-Intendant Dieter Stolte konnte auf seiner IFA-Pressekonferenz am Samstag jedenfalls nur leere Taschen vorzeigen, die im nächsten Jahr noch mit Bankkrediten (250 Millionen) gefüllt werden müssen, damit man überhaupt über die Programmrunden kommt – bis zur fälligen Gebührenerhöhung Anfang 1997. Doch selbst für die „wird die Zeit knapp“, unkt Stolte und verheimlicht auch nicht warum: Zwar trifft sich sich die unabhängige Kommission, die den Finanzbedarf der Anstalten ermitteln soll, am 25. Oktober mit den Intendanten und legt dann ihren ersten Bericht vor. Doch beschließen können die Gebührenerhöhung nur die Bundesländer – einstimmig und in einem Staatsvertrag. Und da wird, so weiß Stolte schon heute, bis zum 24. März nächsten Jahres gar nichts passieren. An diesem Tag stehen nämlich Parlamentswahlen in drei Ländern an. Und eine Erhöhung der Rundfunkgebühren ist schließlich unpopulär, so daß sie sicher erst nach Wahltagen entschieden wird.
Außerdem hat der ZDF-Intendant das Gras wachsen hören und verkündet schon heute, daß das Ministerpräsidentenduo Stoiber und Biedenkopf auf den Münchner Medientagen im Oktober seine alten Argumente wieder hervorholen wird, die auf eine Schwächung – oder gar die Abschaffung – des Ersten hinauslaufen.
Von einem Einstieg der Öffentlich-Rechtlichen in die neue Welt der Spartenkanäle oder gar des Pay-TV wollen diese und andere Politiker – „die uns als Dinosaurier halten wollen“, sagt Stolte – nichts wissen. Dagegen helfen im Moment nur starke Worte: Man werde sich „an allen technischen Neuerungen beteiligen“, verkündet auch der ARD-Vorsitzende Albert Scharf – allerdings nur „mit Phantasie und journalistischem Know-how“, von Geld ist bei ihm nicht die Rede. Und der ZDF-Intendant will zwar bis Jahresende die Entscheidungen für Multimedia über die Bühne bringen. Aber, so sagt er auf Nachfrage, zusätzlich kosten darf es nichts. Also heißt es, Locken auf der Glatze drehen, mit Pay-TV (allein oder mit ARD-Anstalten, Zusammenarbeit mit Privaten will Stolte auch „nicht ausschließen“). Da will man Programmrechte verkaufen und sich dafür eine Gesellschafterbeteiligung aushandeln. Bis Ende des Jahres soll auch ein eigener Online-Dienst oder – „wahrscheinlicher“ – die Beteiligung an einem privaten Service auf den Weg gebracht werden.
Die ARD, so verkündete ihr Vorsitzender Scharf auf der IFA, will „zunächst einmal alle bestehenden Programme digital verbreiten“. Die sollen dann von allen, die sich einen der neuen Decoder anschaffen, in der verbesserten Bildqualität zu empfangen sein. Um den Anschluß dort nicht ganz zu verpassen, haben sich ARD und ZDF dem Konsortium einer Multimedia-Betriebsgesellschaft (MMBG) angeschlossen, die sich aber noch „in Gründung“ befindet. In der sind außer der Kirch-Familie alle großen Fernsehveranstalter vertreten. Diese MMBG will einen eigenen digitalen Decoder entwickeln – der kleine schwarze Kasten, der als Prototyp am Samstag auf ihrem IFA-Stand zu bewundern war, konnte leider noch nichts vorführen. Kein Wunder, über die technischen Spezifikationen will man sich ja erst noch einigen. Der Haken: Konkurrent Kirch hat die Entwicklungsarbeit zusammen mit dem finnischen Konzern Nokia längst geleistet und führt auf der IFA ein Versuchsprogramm auf 27 digitalen Kanälen vor (siehe taz-Tagesthema vom Samstag). Bei diesem Wettbewerb um den künftigen Decoder werden allerdings ARD und ZDF ohnehin nur zuschauen können. Entschieden wird er wohl beim einzigen sicheren Großauftrag: Der winkt beim Pay-Sender Premiere, dessen 910.000 Abonnenten angesichts der neuen digitalen Spartensender auch auf diesen Standard gehoben werden müssen. Dort aber stehen sich als Gesellschafter ausgerechnet die Decoder-Konkurrenten gegenüber: die Kirch-Gruppe (25 Prozent) und zwei Beteiligte der MMBG, Bertelsmann mit seinem französischen Partner Canal Plus (zusammen 75 Prozent). Freitagabend hat nun die Kirch-Firma Beta-Technik bekanntgegeben, daß sie bei Nokia gerade eine Million Decoder für das Frühjahr bestellt hat. Die Frage ist, für wen – wenn nicht für die Premiere-Abonnenten. Nur darüber haben sich die Gesellschafter noch gar nicht geeinigt. Kirch macht mal wieder Power-Play. Michael Rediske
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