Im Nieselregen klappt die Kandidatin weg

■ Die SPD stellt ihr Wahlplakat mit Ingrid Stahmer vor und wird von den Widrigkeiten des internen Streits gebeutelt

Im September 1994, zitiert SPD- Landesgeschäftsführer Rudolf Hartung aus einer damaligen CDU-Presseerklärung zur Bundestagswahl, habe die CDU die SPD weit abgeschlagen gesehen. Eineinhalb Monate später hatte die CDU 8 Prozent verloren, und die SPD war mit 34 Prozent stärkste Partei in der Stadt, ruft Hartung in Erinnerung.

Den Trost haben die Sozialdemokraten bitter nötig. Die Vorstellung des ersten Großflächenplakats, mit dem die SPD „in die heiße Wahlkampfphase startet“, geriet zur Momentaufnahme einer um Tritt ringenden Partei.

Vor dem Roten Rathaus, in das Ingrid Stahmer als Regierende Bürgermeisterin am 22. Oktober einziehen möchte, klappte das vorgestellte Großplakat im heranwehenden Nieselregen mehrfach in sich zusammen. Die abgebildete Spitzenkandidatin, die in den nächsten Wochen auf 700 Werbeflächen „für eine bessere Politik“ antritt, kam nicht zum Termin.

Die anschließende Pressekonferenz im noblen Restaurant „Reinhard's“ – zur Mittagszeit nahezu rappelvoll – kam nur unter Schwierigkeiten zustande. Stahmers Wahlkampfleiter Christian Hoßbach hatte vergessen, Plätze zu reservieren. Dazu kam noch die Nachricht vom eskalierten Streit zwischen SPD-Chef Scharping und dem Niedersachsen Schröder.

Christian Hoßbach stieß verspätet zur Presserunde: Der Streit in der Führung der Bundespartei, der von den Berliner Genossen als zusätzliche Bürde des hiesigen Wahlkampfs empfunden wird, erforderte die Beratung mit der Spitzenkandidatin Stahmer. „Es sei hilfreich und gut, wenn Klarheit geschaffen wird“, gab Hoßbach die Meinung seiner Chefin wieder. „Das gibt uns noch mehr Rückenwind“, fügte er hinzu, um sofort wieder den Blick zu senken.

„Je schneller das aufhört, um so besser“, ließ sich Geschäftsführer Hartung entlocken. Ansonsten windet er sich um die Frage herum, wieviel Stimmen das Gerangel zwischen Scharping und Schröder die SPD in Berlin koste. Die Sorge ist dennoch zu verspüren, daß Schröder jetzt erst recht kein Blatt mehr vor den Mund nimmt. Auf die Wahlkampfhilfe aus der Parteispitze wollen die Berliner nicht verzichten: Scharping kommt bis zum Urnengang fünfmal nach Berlin, Schröder dreimal. Immerhin: die beiden Streithähne wollen am 7. Oktober gemeinsam auftreten.

Das erste der drei Wahlplakate zeigt Ingrid Stahmer allein im Bild. Dies soll, so bestätigt Hartung, auch bei zwei später zu präsentierenden Motiven der Fall sein. Daß dies die herausgehobene Führungsposition Ingrid Stahmers in der SPD verdeutlichen soll, ist für Hoßbach keine Frage. Die Situation sei zudem anders als 1989, als die SPD im Wahlkampf ganz auf ein Foto des späteren Siegers Momper verzichtete. Diesmal sei eine Personalisierung zwingend; schließlich sitze die SPD jetzt in der Regierung und Stahmer sei weithin bekannt. Ohne Foto von Stahmer – „das würde keiner verstehen“, betont Hoßbach.

Den Eklat um die Vergabe des Schiller Theaters an das CDU- Mitglied Schwenkow, als Bausenator Nagel und Kultursenator Roloff-Momin entgegen der Vorgabe Stahmers mit der CDU-Seite stimmten, spielt Hoßbach herunter. „Theater“ sei dies und „kein Drama“, erst recht kein Beleg für eine Führungsschwäche.

Walter Momper, der mit einer Initiative für Rot-Grün trommelt, bekommt ohne Namensnennung seine Bemerkung ab. „Jetzt Rot- Grün in Berlin“ sollte seine Veranstaltungsreihe heißen. Ingrid Stahmer ließ ein „ausloten“ anhängen. Die Momper-Kampagne sei „gut und richtig“, dürfe aber nicht überschätzt werden, urteilt Hoßbach. Die erste Veranstaltung mit mäßigem Publikumszuspruch habe deutlich gemacht, daß „Rot-Grün kein Mobilisierungsthema“ sei. Für Hoßbach stellt sich die „entscheidende Frage“ anders. Die SPD müsse stärkste Partei werden. Dann könne man sich nach der Wahl aussuchen, mit wem man koaliere. Gerd Nowakowski