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Vetternwirtschaft auf der Matte

■ Nominierungspraktiken und mißachtete Qualifikationsrichtlinien erzürnen Judokas

Peter Schlatter ist derzeit der beste deutsche Judoka in der Gewichtsklasse bis 65 Kilogramm. Im Mai wurde der 26 Jahre alte Sportstudent aus Wutöschingen, der für den VfL Sindelfingen in der Bundesliga startet, in Birmingham Europameister. Befindet sich Schlatter auf dem direkten Weg zu den Olympischen Spielen? Mitnichten, denn bei der Weltmeisterschaft vom 28. September bis 1. Oktober in Makuhari (Japan) darf Schlatter nicht für den Deutschen Judo- Bund (DJB) starten. Und das, obwohl er als einziger Athlet seiner Klasse die Qualifikationsrichtlinien erfüllt hat. Wie Nominierungen von deutschen Judokämpfern zu offiziellen Titelkämpfen zustande kommen, ist gegenwärtig überaus nebulös. Inzwischen wird von verschiedenster Seite gemunkelt, daß eher persönliche Vorlieben von Bundestrainer und Funktionären statt erbrachte Qualifikationsnormen entscheiden. Generelles Problem ist, daß pro Nation und Gewichtsklasse nur ein Athlet starten kann.

Peter Schlatter ist der erste, der den Mund aufgemacht hat. Schon bei der EM sollte er gar nicht teilnehmen, obwohl er die Nominierungskriterien – Plazierungen bei internationalen Turnieren der A-Kategorie – als einziger Judoka seiner Klasse erfüllt hat. Bundestrainer Dietmar Hötger favorisierte den Ex-Weltmeister von 1991, Udo Quellmalz aus Leipzig, obgleich jener im Grunde in die nächsthöhere Klasse (71 kg) gewechselt war und bei keinem A-Turnier vorn landete. Hintergrund: Zwischen Quellmalz und dem DJB soll ein schriftlicher Vertrag existieren, der ihm den Start bei Welt- und Europameisterschaften bis 65 kg zusichert – ohne die Qualifikation erbracht zu haben. Clever von Quellmalz, der damit dem dauernden „Abkochen“ von Körpermasse vorbeugt. Auch für die Klasse bis 60 kg soll der ansonsten bis 65 kg startende Münchner Richard Trautmann einen solchen „Gewichtsvertrag“ besitzen.

Nach dem Willen des Bundestrainers wäre Schlatter also gar nicht Europameister geworden. Erst auf Druck des Badischen Judo-Verbandes und einer baden- württembergischen Athletenvereinigung wurde er zur EM geschickt und so ein öffentlicher Schlagabtausch verhindert. Bei Schlatters Sieg herrschte dann auch ungewohnte Stille auf den Rängen, wo die deutschen Funktionäre saßen. „Man teilte mir zuvor mit, daß, selbst wenn ich eine Medaille gewinne, Udo Quellmalz zur WM nominiert wird“, erklärt Schlatter. Dabei ist es geblieben, obwohl Hötger zu Jahresbeginn bekannt gegeben hatte, wer bei der EM Platz eins bis fünf erreiche, sei automatisch für die WM qualifiziert. Europameister Schlatter steht eine „Lex Quellmalz“ im Wege.

Schlatters Sindelfinger Klubkamerad Marc Meiling, Olympiazweiter von 1988, hält die DJB- Qualifikationsrichtlinien für „null und nichtig“. In seiner Gewichtsklasse bis 95 kg sei die WM-Nominierung des Leipzigers Axel Lobenstein zwar korrekt, Meiling sieht sich dennoch ebenfalls ausgebootet, weil er trotz besserer Vorleistungen nicht als Ersatzmann nominiert wurde. Die Liste der merkwürdigen Berufungen läßt sich fortsetzen: In der Klasse bis 78 kg ist Stefan Dott (Urmitz) der WM-Starter. Die Internationalen Deutschen Meisterschaften in Rüsselsheim Anfang September waren sein erstes Turnier nach einer schweren Schulterverletzung. Dott schied in der Vorrunde aus. Uwe Frenz, Sieger in Rüsselsheim, darf nicht zur WM, obwohl er sich zur Zeit in besserer Verfassung präsentiert und zudem – wie im Falle Schlatter – bei internationalen Turnieren erfolgreicher war. Vater Karl-Heinz Dott, DJB-Vize- Präsident, wird sich freuen, daß sein Sohn Stefan in Makuhari kämpfen darf. Es ist nicht das erste Mal, wo Dott Athleten vorgezogen wird, die zuvor bessere Leistungen erbrachten. Zwar rechtfertigte er seine Aufstellung oft im nachhinein, wurde 1991 Europameister und 1992 fünfter bei Olympia – doch werden damit nicht alle Qualifikationsnormen hinfällig? In Makuhari werden Quotenplätze für die Olympischen Spiele ermittelt. Nicht nur Peter Schlatter bangt, durch Manipulationen um seine Atlanta-Chance gebracht zu werden. Markus Arnold

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