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Die Klasse von 1995

Blur oder Oasis? Keks oder Schokolade? In England ist ein Streit um die Nachfolge der Beatles entbrannt. Mit harten Bandagen wird um feine Unterschiede gekämpft. Blur sind Etappensieger, die USA erobern wollen aber beide  ■ Von Thomas Groß

BBC News, das ist Topsendeplatz, familienrelevant, hysteriegefiltert und öffentlich-rechtlich. Wickert-Niveau mit eingebautem Anti-Erregungs-Standard – aber selbst die mußten's bringen. Nach Meldungen über den Tod zweier amerikanischer Unterhändler in Bosnien und Truppenmassierungen an der irakischen Grenze gab der Krawattenmann das Ergebnis der britischen Meisterschaften im Pop-Schwergewicht bekannt: Blur besiegt Herausforderer Oasis durch technisches k.o.: 270.000 gegen 220.000 verkaufte Singles seit dem Stichtag am 14. August – „...und nun das Wetter“.

Der vorläufige Höhepunkt einer kunstvoll geschürten öffentlichen Hysterie, wie sie selbst das hype-gewohnte England seit mindestens zehn Jahren nicht mehr erlebt hat. Blur vs. Oasis, das war Battle of the Bands mit Unterhaltungswert bis weit in die Provinz hinein: Bandleader, die sich bei Radiosendungen wechselseitig schmähen, Bandmitglieder, die, von Paparazzi-Reportern beobachtet, sich in Pub-Toiletten an die Gurgel gehen, und Rockschreiber, die daraus boulevardeske Titelgeschichten machen. Gossip auf allen Kanälen, jeder ist der Größte, pump auf das Volumen! Schließlich Konfrontationskurs und alles auf eine Karte: Beide Singles, sowohl „Country House“ von Blur als auch „Roll With It“ von Oasis, erschienen am selben Augustwochenende.

Seitenscheitel gegen Dreitagebärte

Volle Kanne Kopf-an-Kopf-Rennen also und großer plebiszitärer Zauber im Consumer-Bereich („Demokratie“: der Fan entscheidet mit seinem Taschengeld), aber fast auch die Anzettelung einer Art ethnischen Konflikts im Stammeswesen britischer Teenager. Während Beatles und Stones selbst zu ihren erfolgreichsten Zeiten zivil genug waren, sich hinsichtlich der Veröffentlichungsdaten ihrer Platten abzusprechen – unter Gentle- und Businessmen sozusagen –, kam der Kick hier erst aus der aggressiven Polarisierung: Blur oder Oasis? Keks oder Schokolade? Bist du für oder gegen uns? Ein Drittes wird, wenn's hart auf hart kommt, nicht mehr so gern gegeben.

Dabei sind, wie oft in solchen Fällen, die Unterschiede zunächst gar nicht so fundamental – oberflächlich gesehen! Sowohl Blur als auch Oasis sind reine Jungens- Bands. Klassisches, von Gitarren dominiertes Line-Up, ähnliches Alter (Mitte zwanzig). Sportliche, nicht allzu extravagante Erscheinungen. Beide Bands haben einen klaren Boß: Blur- Sänger und -Songwriter Damon Albarn, Oasis-Gitarrist und -Songwriter Noel Gallagher, die eine Hälfte des notorischen Gallagher-Bruderpaars (die andere singt). Blur sind vier, Oasis zu fünft, was einen auf die Idee bringen könnte, Oasis seien vom Grundmodell her eher die Stones; aber wie in einem sehr ernsten Kinderspiel haben beide Parteien immer wieder betont, lieber die Beatles sein zu wollen. Sei's drum.

Dann aber die feinen Unterschiede! Blur haben halblange Junge-Burschen-Frisuren, Oasis auch, aber bei Oasis sitzt das Ganze mehr wie eine zu enge Badekappe auf den kantigen Köpfen. Bei Blur gibt es eine Tendenz zum Seitenscheitel, Oasis sind bekennende Mittelscheitel mit Tendenz zu aggressiver Verwahrlosung. Blur tragen Fred-Perry-Hemden und Sportswear, Oasis (Surprise!) neuerdings urbritische Dufflecoats. Blur sind primär blond, Oasis dunkel. Um Blur ist etwas juvenil Bartloses, während Oasis, gerade in letzter Zeit, leicht ins Kotelettige und Dreitagebärtige gehen (augenbrauenmäßig könnte Noel Gallagher sogar mit Theo Waigel konkurrieren). Blur nennen Oasis geezer (Knacker), während Oasis Blur des öfteren wanker (Wichser) genannt haben. Blur haben eine E-Mail-Adresse, Oasis nicht. Und: Blur sind aus London, Oasis aus Manchester.

Das ergibt zunächst einmal den klassischen Nord-Süd-Konflikt, wie er auf sportiver Ebene auch in der Rivalität von Manchester United und Arsenal London auf eine lange Tradition zurückblicken kann: Provinz gegen Hauptstadt, Underdogs gegen Hegemonialisten, Industriestadt gegen Dienstleistungszentrum, verschärft allerdings durch die Verlagerung aufs weite, hedonistische Feld der Popmusik und ergänzt um die soziokulturelle Konfliktlinie Arbeiterklasse gegen Mittelschicht. Während Blur ihre Herkunft aus Künstler- und Bohemienfamilien gutgelaunt bejahen, und vor allem Damon Albarn jedem Interviewer erzählt, wie drollig seine Kindheit in den Siebzigern verlaufen ist, ist es für Oasis eine der leichtesten Übungen, den Gegner als Bande halbschwuler Weichlinge und Kunsthochschulenärsche runterzumachen.

Fußball und Windhundrennen

Doch Blur wären nicht Blur und Oasis nicht Oasis, käme der Widerspruch nicht auf einer höheren Ebene wieder zur Versöhnung: Beide Bands schielen auf den amerikanischen Markt, beide sind Flagschiffe einer bislang eher herbeigeredeten „British Invasion“, der auch Gruppen wie Supergrass, Pulp, Gene, Boo Radleys, Black Grape und Elastica zugerechnet werden. Da dient jeder Rummel um Personality und Charts nicht nur der eigenen Profilierung, sondern auch der weiteren Aufwertung des boomenden Produkts „Britpop“. Kultur-Soccer: In einem Land, in dem die Pop-Dienstleistung heute mehr Gewinn erspielt als die Stahlindustrie, nimmt die Öffentlichkeit die höchsten Wellen seit Punk und New Wave mit einer Mischung aus Hoff

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nung, verschobenem Nationalstolz und etwas angeschlagener Vergnügungssehnsucht zur Kenntnis: Wenn im Kingdom nichts mehr geht, gehen immer noch Fußball und Windhundrennen.

Kann auch ich elektrisch sein?

Und der Kern des Ganzen, die Musik? Ist erst einmal von diesen Makro-Bewegungen zu erschwerter Kenntlichkeit überformt, die LPs, die die Probe aufs Exempel der Singles sein sollen, ächzen unter der Beweislast, die sie sich zugezogen haben im nationalen wie im internationalen Kulturkampf. Blur nennen ihr gerade erschienenes viertes Album „The Great Escape“, ein ironisch-flüchtendes Augenzwinkern vor der über lange Jahre herbeigesehnten Rolle als Superstars. Oasis kommen, nach dem 3-Millionen-Seller „Definitely Maybe“, mit „Morning Glory“ heraus (deutsches VÖ-Datum Anfang Oktober) – Morgenluft für Leute, die sich als Verlierer der Geschichte empfinden, aber eben noch nicht aller Tage Abend gesehen haben wollen.

Wer letztere Art der Gefühlswallung anstrebt, kann sich nicht mit allzuviel Finessen aufhalten. Auf „Morning Glory“ halten Oasis exakt den Kurs, den die Single „Roll With It“ vorgegeben hat: Roll mit ihm! Wehre dich nicht gegen den großen Strom der Zeit, gewinne ihm lieber deine eigenen Kicks ab! Oasis-Songs haben etwas durchgezogen Sloganhaftes, heißen „Hello“ oder „Step Out“ oder „Hey Now“. Songs in der ersten Person, die nicht groß nach links und rechts fragen, Hauptsache „authentisch“. Wenn ein Du angesprochen wird, und es ist nicht gerade der Kumpel, der endlich die geballten Fäuste aus der Tasche kriegen soll, müssen die scharfen Bräute aus der Nachbarschaft herhalten – Wesen wie von einem anderen Stern, die in den balladeskeren Stücken bang gefragt werden: „Can I be electric, too?“

Daß dieses Boy-bangs-Girl- Schema ähnlich unoriginell ist wie die aus Slade-, Status-Quo- und Beatles-Bausteinen zusammengeklaute Musik, hat das Nachsehen vor dieser Frage: Kann so jemand wie ich auch elektrisch sein? Oasis klagen das Menschenrecht auf Kapitalismus ein, und es kümmert sie wenig, daß sie genau besehen nicht nur Loser sind, sondern auch Söhne einer Kolonialismus-Nation im Niedergang, denn: Wer will sich schon mit so was abfinden? „Barbarism Starts At Home“ sangen die Smiths vor Jahren, und Noel Gallagher, der gern und oft seine schwere Kindheit im Arbeiterhaushalt herbeizitiert, hat das für sich in alte Spruchweisheiten übersetzt: Jacke wie Hose. Aber Hose ist näher.

Konkrete Poesie für Teenager

Ein Ausbund an Einfühlsamkeit dagegen das Blur-Album. Keine Slogans, wenig Selbstaussagen, keine Sympathie mit dem Teufel, statt dessen praktizierte Identifikation mit den Modernisierungsverlierern in den Boom-Städten – die dann allerdings doch wieder große Ähnlichkeit mit der klassisch desillusionierten Mittelschichtsexistenz im gläsernen, computerisierten Londoner Dienstleistungsbetrieb haben. Wer Geld hat, flieht aufs Land, wo einem aber auch nichts Besseres einfällt, als olle Bücher lesen und sich nebenher mit Drogen vollpumpen („Country House“); wer keines hat, ist der „Charmless Man“ (eine Anspielung auf den „Charming Man“ der Smiths), der sich Abend für Abend im selben Pub die Hucke vollsaufen muß.

Aber man ist ja doch immer noch genügend bei Kasse, um wie „Ernold Same“ (noch eine Anspielung: auf Pink Floyds „Arnold Lane“) den eigenartigen, fast lyrischen Vorbeifluß des Lebens mit einem halben benebelten Auge zu erwischen. „Ernold Same“ ist natürlich auch Earn-hold same, der Mann, der sich mit seinem bißchen Geld immer den gleichen Blues einfängt; und wer dann noch kapiert, daß der „Abnormal Man“, den Damon Albarn in einem weiteren Stück besingt, ein Anagramm seines Namens ergibt, der hat endlich wirklich was begriffen.

Komplizierte Verhältnisse für ein Album mit Massen-Appeal, konkrete Poesie für Teenager, aber genau das ist die Leistung von Blur: Sie übersetzen einen obskur gewordenen Wahrnehmungskosmos in die Sprache der Neunziger. Finesse rules o.k.! Altbritische Werte wie Understatement und Sophistication werden zu allerspätester Blüte emporgetrieben, während die Musik ruhelos im Zitatenschatz der Tradition umherirrt: hier ein Beatles- Fragment, dort ein Kinks-Chorus, eine Madness-Burleske, eine Punk-Travestie. „The Great Escape“ ist hochinspirierte Unoriginalität, die nach außen hin flott durchstartet, im Innern aber depressiv verklimpert wie ein besoffenes Nickelodeon.

Aber immer mit Haltung! „The Great Escape“ ist eigentlich weniger ein Pop-Album als eine Art Novellenzyklus, der mit der Pracht und dem Pathos des Späten die Welt ruhmloser Profiteure auseinanderlegt. Es ist cool, Mittelschicht zu sein, erzählen die Geschichten, Joyce und Brecht kennen ist auch nicht von schlechten Eltern, aber viel kaufen kannst du dir dafür auch nicht mehr: „Every night we are gone, and to karaoke songs, we like to sing along.“

Aber der Beat geht ja weiter. Daß beide Modelle, Blur wie Oasis, sich reelle Chancen ausrechnen können, als Speerspitze der „British Invasion“ auch in USA erfolgreich zu sein, spricht für ein neuerwachtes Interesse an der regionalen, im National-Pack besonders gut vermarktbaren Ressource – her mit den kleinen Engländern!

Speerspitzen der „British Invasion“

Daß diese das „kulturlose“ Amerika gar nicht so besonders mögen, macht die Sache nur noch delikater. „Schon seltsam, wie die Amerikaner Dinge aus Europa glamourös finden“, wundert sich Blur- Drummer Dave Rowntree in einem Interview, „ich denke, es ist ein Versuch, Sophistication rüberzubringen. Du kannst das auch in anderen Ländern sehen, die ursprünglich mal von England kolonisiert wurden, wie Australien, wo die Werbespots für gehobene Produkte oft mit englischem Akzent daherkommen. Für Bier und Hamburger nehmen sie dann wieder den einheimischen Dialekt.“

Wie so etwas funktioniert, haben – unter freundlicheren Bedingungen – vor 30 Jahren die Beatles vorgemacht, das Ur-Break-Modell des Britpop – also alles schon mal dagewesen? Und wie macht sich die Klasse von 1995 mit solchen Denkmälern im Kreuz? Rückstandslos lassen sich Blur und Oasis nicht unterbringen im Beatles- Universalsystem, aber annäherungsweise. Oasis sind „Please, Please me“ („Oh Yeah, And I'll Please You“), Blur sind „Penny Lane“ (ewiger Vorstadthimmel), „For The Benefit Of Mr. Kite“ (melancholische Zirkusakrobaten), vor allem aber „Octopus's Garden“: Ich bin ein kleiner großer Popstar in einer verwirrenden Welt; zeig mir mein kleines Versteck zwischen den Wellen.

Blur heißt übrigens laut Lexikon „1. verwischen: a) Schrift etc. verschmieren, b) A. fig. undeutlich od. verschwommen machen 2. Phot. verwackeln. 3. Sinne etc. trüben.“ Für den Kulturkampf USA vs. Großbritannien ist noch nicht verfallen, was ich 1994 anläßlich der letzten Blur-LP „Parklife“ geschrieben habe: Amerika ist ein leerer Flugzeughangar, England eine überdrehte Spieluhr.

Blur: „The Great Escape“ (EMI)

Oasis: „Morning Glory“ (Sony)

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