: Unterm Strich
Mit Pauken und Trompeten oder besser noch: mit Marcel Reich-Ranicki und Ute Lemper beging der Berliner Aufbau-Verlag sein 50jähriges Bestehen im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Das ist vor allem insofern beachtlich, als Marcel Reich-Ranicki mit den von Aufbau vertretenen Autoren herzlich wenig anfangen konnte. Das gilt nicht nur für Erwin Strittmatter; auch aufstrebende Jungtalente wie Pietraß, Hüge oder Walsdorf lagen ihm so fern, wie – und das gestand er freimütig – die chinesische oder japanische Literatur. Mut zur Lücke! Was ihn allerdings dennoch bewogen haben könnte, werden die sorgfältigen Editionen der Klassiker gewesen sein, Werkausgaben von Heine, Lessing, Fontane, Storm oder Fallada. Hervorgetan hatte sich der Verlag unter wechselnder Leitung von Walter Janka bis Elmar Faber aber auch durch die Werke der Emigranten: Seghers, Bloch, Heinrich Mann wurden durch den Aufbau-Verlag zu einer Zeit publiziert, als man ihnen im Westen noch recht distanziert gegenüberstand. Der Treuhand erschien der Verlag als eines von drei unbedingt zu rettenden Ost-Unternehmen. Mit dem Wegfall des planwirtschaftlichen Ausgleichs für überhöhte Auflagen geriet der Verlag dann schnell in die Verschuldung. Er hätte gewiß nicht überlebt, wenn der Frankfurter Immobilienhändler Bernd F. Lunkewitz das Unternehmen 1991 übernommen hätte. Noch immer ist die gerichtliche Klärung der Frage anhängig, ob die Treuhand Lunkewitz nicht fälschlicherweise einen Betrieb als „volkseigen“ verkauft hat, der eigentlich noch dem Kulturbund gehörte. Sollte sich dies bestätigen, wäre der Aufbau-Verlag seine Sorgen los.
Das Filmfestival von San Sebastian endete gestern morgen mit der Verleihung der „Goldenen Muschel“ an die britisch-kanadische Koproduktion „Margaret's Museum“, einem Sozialepos über das Leben der Minenarbeiter und die Einsamkeit ihrer Frauen in einem kleinen englischen Dorf in den vierziger Jahren. Der Sonderpreis der Filmkritik ging an den spanischen Film „Niemand wird von uns sprechen, wenn wir tot sind“ – eine Aussage, die wir hier umstandslos unterschreiben, anprangern und anklagen möchten –, und für ihre Darstellung in eben jenem Film erhielt die Almodovar-erprobte Aktrice Victoria Abril nämlich auch noch eine Silberne Muschel.
Ebenfalls eine hübsche Goldene Muschel erhielt für ihr Lebenswerk die franzöische Schauspielerin Cathérine Deneuve, während die deutsche Schauspielerin Regina Fritsch für ihren Auftritt in „Schlafes Bruder“ einen mit schäbigen 5.800 Mark dotierten Preis erhielt.
In einem am WDR-Interview von Samstag hatte sich die Orientalistin Gertrud Schimmel wieder einmal zu Wort gemeldet: Khomeini hätte, wenn er nur gekonnt hätte, den Mordaufruf gegen Salman Rushdie wieder zurückgenommen. Woher wissen? „Das
habe ich immer wieder von Muslimen gehört.“ Ach so. Schimmel verwahrte sich ein weiteres Mal gegen Kritiker, die ihr distanzlose Schwärmerei für den Islam und Verständnis für den Mordaufruf gegen Rushdie vorgeworfen hatten: Jene besäßen keinerlei Kenntnis von ihren mehr als 80 Büchern. Sie verwies auch auf Kontakte zu Oppositionellen in Pakistan. Um diese Freunde zu schützen und ihnen nicht zu schaden, habe sie sich jedoch politisch immer zurückgehalten. Das sei ihr falsch ausgelegt worden. Das Mißverständnis im Zusammenhang mit der Fatwa bestünde darin, daß diese kein Urteil, sondern lediglich ein Rechtsgutachten sei. Wenn diese Fatwa eine Todesstrafe für richtig hält, dann müsse trotzdem ein ordentliches Gerichtsverfahren durchgeführt werden, ehe eine solche Strafe ausgeführt werden könne. Das sollte Frau Schimmel einmal den ermordeten Übersetzern von Rushdies Büchern erzählen. Eine Todesstrafe könne immer widerrufen werden, da das islamische Recht ein kasuistisches Recht sei (erstaunlich, daß man diese Art von Willkür auch noch von hier aus lobt ...). Und wieder scheint es, peinlicherweise, als habe Schimmel die „Satanischen Verse“ noch immer nicht gelesen. Sie wiederholt nämlich ihre Einschätzung, daß der Prophet dort lächerlich gemacht werde. Abgesehen davon, daß das, wie Schimmel konzidiert, noch kein Grund für eine Ermordung wäre; es steht nichts dergleichen drin.
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