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Schaufensterbummel mit Steinschlag

■ Maskierte demolierten Schaufenster von Kreuzberger Autohaus / Rache für gescheitertes Gesundheitshaus?

So viele Leute wie gestern drückten sich seit der Eröffnung des Autogeschäftes „Amore Automobile Moresco“ vor zwei Monaten wohl kaum die Nasen an den Schaufenstern platt. Doch ihr Interesse galt weniger den Wagen mit ledernen Schaltknäufen als der demolierten Fensterfront.

Am Samstag morgen gegen zwei Uhr schmissen nach Polizeiangaben etwa zwanzig Maskierte die fünf Schaufensterscheiben des Autoladens in der Mariannenstraße 9–10 nahe dem Heinrichplatz mit Pflastersteinen ein. Die Täter konnten unerkannt entkommen. Die Polizei ermittelt wegen schweren Landfriedensbruchs.

Die Schaufensterscheiben in dem erst vor kurzem fertigsanierten Gebäudes waren gestern notdürftig mit Glas und Klebeband geflickt. Die Reklame über der Glasfront und einige Fenster in der darüberliegenden Büroetage waren noch kaputt. Die ausgestellten Fahrzeuge von Fiat und Alfa Romeo, zwischen denen der Fiat- Werbeslogan „Leidenschaft ist unser Antrieb“ prangt, haben bis auf kleine Kratzer nichts abbekommen.

Viele Türken und Deutsche liefen gestern an dem Autogeschäft vorbei und schüttelten den Kopf. Eine Erklärung für den Scherbenhaufen hatten die wenigsten. Zwei Männer, die die notdürftig geflickten Scheiben mit unübersehbarem Wohlgefallen betrachteten, äußerten sich nur knapp: „Gewalt bringt nichts.“

Die spektakuläre Aktion ist möglicherweise ein Racheakt für das nicht zustandegekommene Gesundheitshaus in dem ehemaligen Bewag-Gebäude. Nach einer Besetzung des jahrelang leerstehenden ehemaligen Umspannwerkes 1989 durch Frauen- und Lesbengruppen hatte die Bewag dem Bezirk Kreuzberg zugesichert, das über 1.200 Quadratmeter große Gebäude entweder mieten oder kaufen zu können.

Doch schließlich verkaufte die Bewag das Haus aufgrund fehlender finanzieller Zusagen der Finanzverwaltung für 2,77 Millionen Mark an die Vertreterin des benachbarten Autohauses „Mehner“, Karin Moresco.

Gegen diesen Verkauf legte das Bezirksamt Widerspruch ein. Der Kaufpreis liege über dem Verkehrswert, und der Verkauf an einen Privateigentümer widerspreche dem angestrebten Sanierungsziel Gesundheitshaus, das auch durch das Abgeordnetenhaus begrüßt worden war, hatte der Bezirk argumentiert. Doch das Verwaltungsgericht entschied zugunsten der Bewag und der Käuferin, die gegen den Widerspruch Rechtsmittel eingelegt hatten.

Kreuzbergs Baustadträtin Erika Romberg (Bündnis 90/Die Grünen) sieht keinen Zusammenhang zwischen dem gescheiterten Gesundheitshaus und dem Scherbenhaufen. Seit das Projekt Gesundheitshaus aus Geldmangel zu den Akten gelegt worden sei, müsse man sich jetzt vielmehr um die Gestaltung der Freifläche neben dem Autohaus kümmern, das ebenfalls der Eigentümerin gehört.

Eine Bebauung dieser „wichtigen städteräumlichen Kante“ im Sanierungsgebiet Kottbusser Tor müsse von einem Wettbewerb begleitet werden. Doch seit den Gesprächen vor anderthalb Jahren habe sich noch nichts getan. Barbara Bollwahn

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