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Ein General, den man kaufen kann

■ Nato-Generalsekretär Willy Claes steht kurz vor seinem Rücktritt. Belgisches Parlament soll ihn zur Anklage freigeben

Brüssel (taz) – Die Nato muß sich einen neuen Generalsekretär suchen. Ihr derzeitiger Chef, Willy Claes, wird um einen Rücktritt nicht mehr herumkommen. Ein Untersuchungsausschuß des belgischen Parlaments kam am Wochenende zu dem Schluß, daß sich Willy Claes vor dem obersten belgischen Gericht wegen Korruption verantworten solle. Es gilt als sicher, daß das belgische Parlament am kommenden Donnerstag der Empfehlung des Untersuchungsausschusses folgt und Claes zur Anklage freigibt.

Am Freitag abend, unmittelbar nach der sechsstündigen Befragung durch den Ausschuß, gab sich Claes noch zuversichtlich. Er sei unschuldig, versicherte er, legte die Hand aufs Herz und gab öffentlich sein Ehrenwort ab. Am Samstag morgen, als der Ausschuß seine Entscheidung bekannt gab, wollte auch Willy Claes einen Rücktritt vom Posten des Nato-Generalsekretärs nicht mehr ausschließen. Sein freimütiges Eingeständnis: „Eine Anklage wäre das Ende.“ Offensichtlich will er sich mit dem Rücktritt aber noch etwas Zeit lassen. In einem Interview der belgischen Sonntagszeitung Dimanche Matin sagte Claes, er wolle heute mitteilen, ob er vor dem Parlament noch einmal den Versuch unternehmen werde, die Vorwürfe gegen ihn zu entkräften.

Die Vorwürfe beziehen sich auf die Jahre 1988/89, als Claes belgischer Wirtschaftsminister war. Er hat damals zusammen mit dem Verteidigungsminister Guy Coeme die Vorentscheidung für den Kauf von 46 Armeehubschraubern bei der italienischen Rüstungsfirma Agusta getroffen, obwohl sich die Militärexperten gegen die Agusta-Modelle und für französische Hubschrauber ausgesprochen hatten. Wie die Staatsanwaltschaft später herausfand, zahlte Agusta damals mindestens 700.000 Mark an die wallonischen Sozialisten und rund 2,5 Millionen Mark an die flämischen Sozialisten von Willy Claes.

Ruchbar wurde die Geschichte, weil die Staatsanwaltschaft auf der Suche nach den Mördern des ehemaligen wallonischen Sozialistenchefs André Cools zufällig die Millionenspenden entdeckte. Cools war 1991 in Lüttich auf offener Straße erschossen worden; vermutlich, weil er auspacken wollte. Vier Minister sind im weiteren Verlauf der Ermittlungen inzwischen zurückgetreten, Politiker und Agusta-Vertreter mußten in Untersuchungshaft, ein ehemaliger Luftwaffenchef nahm sich das Leben.

Claes, der lange Zeit beteuerte, von der ganzen Affäre nie etwas gewußt zu haben, mußte im Frühjahr dieses Jahres einräumen, daß er 1988 mit Parteifreunden über ein Bestechungsangebot von Agusta gesprochen hatte. Er habe die Offerte aber zurückgewiesen und erst jetzt erfahren, daß der Schatzmeister das Geld doch angenommen hatte. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft war Claes jedoch nicht nur Mitwisser, sondern möglicherweise Drahtzieher der Affäre.

Für die Nato war die Agusta-Affäre lange Zeit eine „innerbelgische Angelegenheit“. Vor allem die US-Regierung betonte stets, an Claes festzuhalten, solange die belgische Justiz ihn nicht anklagt. Aus Sicht der USA war Claes ein Garant für die Führungsrolle Washingtons in Brüssel. Aus einigen europäischen Regierungen ist plötzlich jedoch deutliche Kritik an der proamerikanischen Ausrichtung von Claes zu hören. Er habe sich oft bedingungslos den Forderungen der USA unterworfen, heißt es, wobei vor allem der militärische Einsatz in Bosnien gemeint ist, den die meisten europäischen Regierungen für zu gefährlich halten. Alois Berger

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