: Gegen dumme Gutachter vorgehen
■ NRW will künftig Sachkunde von Altlastengutachtern verlangen. Richter müssen Gutachtern auf die Finger sehen
Leverkusen (taz) – Birgitt Kruse sieht sich als Versuchskaninchen. „Wer mit einem Gutachter konfrontiert ist, der nicht sorgfältig arbeitet und mangelhaft untersucht, hat vor Gericht gnadenlos verloren,“ befürchtet die junge Frau aus dem westfälischen Schermbeck. Heute muß Kruse vor dem Amtsgericht Borken mit einem Gutacher, den sie für inkompetent hält, die Probe aufs Exempel machen.
Der Grund: Ihr Vermieter will sein Geld für die Wohnung, die er auf einer Altlast gebaut und ihr langfristig vermietet hatte. Doch Kruse sieht nicht ein, daß sie den Mietvertrag für die Giftbude in Raesfeld-Erle erfüllen soll.
Um die Frage zu klären, ob die Altlast in Raesfeld-Erle gefährlich ist, hatte das Gericht routinemäßig den Sachverständigen Dr. Rainer Pudill bestellt. Doch für Birgitt Kruse ist dessen Expertise ein Skandal. Pudill habe seine mangelnde Kompetenz schon gezeigt, als er in dem Konvolut behauptet, daß das Bundes-Bodenschutzgesetz „im Bundestag bereits verabschiedet wurde“. Bislang liegt nur ein Referentenentwurf vor. Außerdem basiere die Expertise nur auf „zwei Bodenproben und einer Bodenluftuntersuchung – als Datenbasis zu dürftig“, meint Kruse. Pudill sieht in seiner 62seitigen Expertise „vom Baugrund keine Gefährdung“ ausgehen, „die geeignet ist, die Gesundheit der Hausbewohner zu beeinträchtigen“.
Um für mehr Qualität bei solchen Expertisen zu sorgen, hat das Land Nordrhein-Westfalen jetzt „Anforderungen an Gutachter“ im Bereich Altlastensanierung festgelegt. Wolf-Dieter Bertges vom Essener Landesumweltamt erklärt, die entsprechende „Arbeitshilfe“ teile das Wissensgebiet Altlasten in sechs Felder auf. Neben allgemeinen Kenntnissen müssen GutachterInnen danach künftig Spezialkenntnisse in wenigstens einem der Wissensfelder historische Erkundung, Gewässergefährdung, Gesundheitsrisiken, Flora und Fauna, Analytik und Sanierungsmaßnahmen mitbringen.
Vorgaben gegen Abzocker und Scharlatane
Solche Vorgaben sind offenbar bitter nötig. Vor allem in der Zeit der deutschen Vereinigung herrschte regelrechte „Goldgräberstimmung“ im Altlastenbereich, erinnert sich Professor Hans Peter Lühr vom Institut der TU Berlin für wassergefährdende Stoffe. „Die Büros schossen wie die Pilze aus dem Boden.“ Die Visitenkarte war schnell gedruckt, und schon konnte man als Sachverständiger Geld verdienen. Heute kämpfen in Deutschland mehrere tausend Gutachterbüros ums wirtschaftliche Überleben. Die genaue Zahl weiß nicht einmal der zuständige Ingenieurtechnische Verband Altlasten e.V. (ITVA).
Scharlatanen kann mit dem Ansatz aus Nordrhein-Westfalen wahrscheinlich das Handwerk gelegt werden. Doch notwendig scheint zusätzlich auch mehr Skepsis beim Umgang mit Gutachtern jeglicher Couleur. Besondes deutlich wird dies immer wieder bei Gerichtsverfahren wegen Umweltrisiken. Der Frankfurter Staatsanwalt Erich Schöndorf, Ankläger im Holzschutzmittelprozeß gegen Manager der Firma Desowag, beschreibt das Problem so: „Der Richter versteht zwar das Ergebnis des Gutachtens, kann aber die regelmäßig komplizierte Argumentation des fremden Spezialisten nicht nachvollziehen. Das heißt, ihm ist eine Überprüfung der gutachterlichen Entscheidung nicht möglich. Damit ist ihm allerdings auch eine abweichende Beurteilung verwehrt, die er nämlich detailliert begründen müßte.“ Schöndorf plädiert deshalb für weniger richterlichen Respekt vor Experten. „Es gibt gute Gründe, den Männern in Weiß genauer auf die Finger zu schauen.“ Dr. Rainer Pudill zum Beispiel bezeichnet sich auf dem Deckblatt seiner Expertise für den heutigen Prozeß als „öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Umweltanalytik und Toxilogie“ – ohne Scherz. Detlev Stoller
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