: Aus nächster Nähe, sehr begrenzt
■ Der Rahmen, der Installateur, seine Kunst und ihr Publikum: Zum 100. Geburtstag des Kinos läßt der Regisseur Peter Greenaway Münchenilluminieren
„Kino ist in erster Linie ein projizierter Lichtstrahl, der auf eine von einem Rahmen begrenzte Fläche ein helles Rechteck wirft, worin Schatten die Illusion von Bewegung zu erzeugen haben.“ Peter Greenaway, dem wir diese Definition verdanken, ist bei uns vor allem als Regisseur von Filmen bekannten, die in eben keinen Rahmen passen wollen: etwa „Der Kontrakt des Zeichners“, „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ oder „Prosperos Bücher“. Greenaway ist aber auch Maler und „Ausstellungskurator“.
Als solcher beglückt er die Welt seit 1994 mit einem Mammutprojekt namens „Stairs“. Es ist nicht ganz leicht, hinter den vielen Statements, die der beredte Brite allenthalben ausstreut, die Konzeption dieses Projekts auszumachen. Auf alle Fälle hat die Sache mit dem „Vokabular des Kinos“ zu tun. Zum 100. Geburtstag des Films ist Greenaway offenbar zu der Erkenntnis gelangt, das alles, was wir bisher davon gesehen haben, nur eine Art „Vorspiel“ war. Das Kino sei „reif dafür, sich neu zu erfinden“. Mit „Stairs“ will Greenaway offenbar seinen Beitrag dazu leisten. Mit zehn Ausstellungen in zehn verschiedenen Städten rund um Welt (unter anderem Barcelona, Tokio, New York) will er bis weit ins nächste Jahrtausend hinein zehn Hauptthemen des Kinos bearbeiten. Angefangen hat Greenaway letztes Jahr mit der Installation „The Location“ (Schauplatz) in Genf. An 100 verschiedenen Plätzen in der Stadt stellte er 100 Tage lang Treppchen auf. Wer sie erklomm, konnte dann durch ein Guckloch ein bestimmtes Motiv erspähen. Glaubt man den Berichten, so verfiel Genf durch die Aktion in ein regelrechtes „Treppenfieber“.
Groß war deshalb die Erwartung als Greenaway nun in München zum zweiten „Stairs“-Schlag ausholte. „Projection-Frames“ heißt seine neue Installation, die am Donnerstag eröffnet wurde und (diesmal nur 25 Tage) bis zum 19. November zu sehen ist. An 31 Stellen der Innenstadt hat Greenaway 100 Projektoren aufgestellt, die vom Alten Peter bis zum Nationaltheater und von den Propyläen bis zur Staatskanzlei die 100 Jahreszahlen seit der Erfindung des Kinos jeden Abend von 19 bis 23 Uhr auf die jeweiligen Gebäude werfen. Nichts weiter. Kein Bogey, keine Marilyn, kein Buster Keaton, es geht ja schließlich „um die Geschichte des Lichts“. Immerhin aber werden die verschiedenen Epochen der Filmgeschichte angesprochen: Ab 1936 – Farbfilm! – wabern die Zahlen auch mal bunt, ab 1953 sind sie in Breitwand, ab 1990 im Imax-Format zu sehen.
Wer sich nach dem Abwandern der Außeninstallationen noch unbefriedigt fühlt, kann in der dunklen Halle des Marstalls die ganzen Zahlen noch einmal gedrängt und bei sphärischer Musik begutachten. Nach einem rätselhaften System geordnet steigen die Projektionsflächen beginnend mit 1895 von links unten nach oben, bilden von 1931 bis 1961 eine Art riesiger Bingowand (aus der das Jahr 1943 hervorragt), um dann rechts wieder abzusteigen. Dazu stehen ein paar alte Kinogerätschaften in Vitrinen herum, es tropft und plinkt wie in jeder anständigen Performance, und in der Mitte sitzt in einem Glaskasten reglos ein als Schwarzer angemalter Schauspieler herum, der aber, so wird versprochen, am nächsten Tag durch die Jungfau Maria ersetzt werden soll. Auf jeden Fall ist alles ziemlich „geheimnisvoll und vielversprechend“, wie Oberbürgermeister Ude (die Stadt hat das Projekt großzügig unterstützt) bei der Eröffnung meinte und dabei freimütig zugab, das Konzept bis heute auch noch nicht recht verstanden zu haben.
Freilich sind nicht alle so offen für Greenaways „Schule des Sehens“: „Hundert Projektoren und nichts dahinter“ lästerte etwa die Abendzeitung. So verstockt wollen wir es nicht sehen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß München in den nächsten Wochen von einem Projection-Fieber erfaßt wird. Im Laufe von besinnlichen Abendspaziergängen könnten aus den „Frames“ vielleicht noch Erleuchtungen auf uns kommen.
In das Dunkel der Zahlenarrangements konnte der stets freundlich und immer amüsant theoretisierende Greenaway jedenfalls schon ein wenig Licht bringen: Auf die Frage, was es denn mit dem herausragenden Jahr 1943 auf sich habe, antwortete der Filmschaffende vergnügt: „It happens to be my birthday.“ Kein Kunstwerk sei schließlich „völlig unautobiographisch“. Thomas Pampuch
Peter Greenaway: Project „Stairs“, bis 19. 11. im Marstall, München und im Stadtraum
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