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Ausgrenzung, Vertreibung, Mord

David Rieff, Journalist und engagierter Interventionist, beschreibt die Schlachthausatmosphäre in Bosnien sowie den nicht verhinderbaren Untergang des multikulturellen Landes  ■ Von Niels Kadritzke

Bosnien-Bücher gehen schlecht, hört man aus der Branche, zumal wenn sie aus engagierter Feder stammen. Das ist verständlich. Aus solchen Büchern lernt das Publikum, das ohnehin mit der „bosnischen Sache“ sympathisiert, nur selten Neues. Und der überforderte Normalbürger, der beim Wort Sarajevo den Fernseher abschaltet, fühlt sich häufig missionarisch erdrückt. Hier werden zwei Bücher angezeigt, die engagiert dennoch neue Gedanken nahebringen.

Für David Rieff gibt es ein Leben vor und ein Leben nach Bosnien. Er identifiziert sich total. Und er gibt sich sofort als Interventionist zu erkennen, der Nato, EU und UNO vorwirft, durch kriminelle Untätigkeit eine gerechte Bosnien-Lösung vereitelt zu haben. Bekennerische Autoren haben typische Schwächen. Auch Rieffs Text ist zu lang, weil er alles erzählen will. Zuweilen vergreift er sich in der Begriffsklaviatur, worunter die moralische Präzision seiner Urteile leidet. Etwa wenn er vom „Genozid“ an den bosnischen Muslimen spricht und eigentlich „Ethnozid“ meint, die Auslöschung einer Gruppe durch gezielten Mord, Vertreibung und Vernichtung ihrer kulturellen Identität.

Den Schwächen des Buches stehen Stärken gegenüber, die es aus der engagierten Bosnien-Literatur herausheben. Rieff setzt sich mit den Nichtinterventionisten nicht nur moralisierend, sondern argumentierend auseinander. Und er drückt sich nicht um die Einsicht, daß ein Einsatz von Bodentruppen eine blutige Sache gewesen wäre, worüber die Gegner einer Intervention häufig mehr Klarheit hätten als ihre Befürworter.

Rieff begeht auch nicht die Unterlassungssünde, unbequeme Aspekte einfach auszublenden. Er leuchtet auch die dunkleren Ecken im Machtbereich der bosnischen Regierung aus. Wer im „Schlachthaus“ Bosnien das Schlachten angefangen hat, ist bekannt. Aber die Schlachthausatmosphäre wirkt auch auf die Opfer und auf diejenigen, die nicht wehrlos Opfer werden wollen. „In der Realität macht Leid nicht edel, sondern korrupt“. Rieff nennt Beispiele, die Sarajevo-Romantiker verstören werden. Natürlich mußten in der belagerten Stadt die Beziehungen zwischen den Menschen verrohen, natürlich herrschte auf dem Schwarzmarkt eine Mafia. Die politischen Führer brachten ihre Familien ins Ausland, während sie selbst – und nicht nur die serbischen Belagerer – Normalbürgern die Ausreise verwehrten. Aber solche Erscheinungen sind für Rieff nicht peinlich, sondern Kennzeichen einer Situation, die den Belagerten teilweise die Logik der Belagerer aufdrängt.

Deshalb wundert er sich auch nicht über die aktive Pressepolitik der bosnische Regierung. Die internationalen Medien als „militärischen Faktor“ zu sehen sei völlig logisch für eine Kriegspartei, der es an militärischer Hardware fehlt. Daß Rieff solche heiklen Themen anspricht, weist ihn als einen Beobachter aus, der seine Solidarität mit der „bosnischen Sache“ nicht über seine berufliche Loyalität zur Wahrheit stellt.

Die eindrücklichsten Kapitel beschreiben die Schrecken, die der Begriff „ethnische Säuberungen“ unterschlägt. In Banja Luka hat er die schrittweisen Maßnahmen gegen Nichtserben beobachtet: Verlust von Arbeitsplatz, Wohnung, Bürgerrechten, dann die Einberufung zum Militär, die Alternative also, zu flüchten oder für die großserbische Sache zu kämpfen. Wer einrückte, mußte in vorderster Linie Schützengräben ausheben. (Das sei „schlecht für die Gesundheit“, bekam Rieff von einem serbischen Kämpfer zu hören.) Wobei zuerst die Intellektuellen und Angehörigen qualifizierter Berufe erfaßt wurden – was man zu Recht als „Elitozid“ bezeichnet.

Die Greueltaten, die damit einhergingen, waren nach Rieff nicht unkontrollierte Exzesse, sondern eine kalkulierte Abschreckungsbotschaft. Sie sollten möglichst viele Nichtserben zur Flucht veranlassen und ihnen jeden Gedanken an Rückkehr austreiben. Darauf zielte auch die perfideste Taktik ethnischer Kriegführung: In gemischten Dörfern bekam der serbische Bauer den Auftrag, seinen muslimischen Nachbarn zu töten. „Tat er es, hatte er die Grenze überschritten, über die ihn die Tschetniks haben wollten. Aber auch wenn er sich weigerte, was viele getan haben, war die Sache einfach: Er wurde auf der Stelle erschossen.“

Ein einziger Protest gegen „ethnische Säuberungen“

Wie konnte eine politische Konstellation erzeugt werden, in der bosnische Serben ihre Nachbarn – gezwungen oder freiwillig – umbringen? Dazu bietet unser zweites Buch historische, soziale, psychologische Erklärungsansätze. „Da wir in Bosnien zur Welt gehören“, herausgegeben von Johannes Vollmer, ist ein einziger Protest gegen die „ethnischen Säuberungen“.

Dennoch enthält es wenig Betroffenheitstexte und viele gut lesbare, genaue Informationen darüber, welche Kreise (und eben nicht „die Serben“ schlechthin) die Revitalisierung und Verbreitung nationalistischer Feindbilder betrieben haben. Selbst über das letztlich unlösbare Rätsel, was in einer Schlüsselfigur wie Karadžić vorgehen mag, gibt der Psychiater Milan Stern plausible Aufschlüsse. Und der serbische Journalist Vesović berichtet aus eigener Kenntnis, wie Karadžić schon vor der Separation der bosnischen Serben die meisten Dörfer besuchte und überall erzählte, Izetbegović wolle Bosnien in einen „türkischen Staat“ zurückverwandeln. Damit beschwor er gezielt die Angst, die muslimischen Großgrundbesitzer aus osmanischer Zeit würden zurückkehren und den Bauern ihr Land wegnehmen. Karadžić und seine Leute beuteten also gezielt die Ressentiments der Provinz gegen die städtischen Eliten aus und konnten eine wahnhafte „Wahrheit“ erzeugen, die stärker ist als die Realität.

„Solche falschen Überzeugungen dauern lebenslänglich“, meint der Psychiater Stern und läßt uns damit wenigstens noch ferne Zukunftshoffnungen. Pessimistischer ist David Rieff, der das multikulturelle, demokratische Bosnien unwiderruflich zerschlagen sieht. Die Ereignisse, die seit Abschluß seines Buches eingetreten sind, können den Autor nicht widerlegen. Die Intervention der Nato sollte die Teilung des Landes nicht verhindern, sondern besiegeln. Und daß auch die Kroaten ihre Expansionsinteressen auf Kosten Bosniens verfolgen, steht für Rieff ohnehin außer Zweifel. Nicht nur deshalb liest sich sein Buch wie ein Nachruf auf ein historisches Land. Auch aus Nachrufen kann man lernen, aber es bleibt eine traurige Sache.

David Rieff: „Schlachthaus“ (Übersetzung: Yvonne Badal). Luchterhand Verlag, München 1995, 220 S., 39,80 DM

Johannes Vollmer (Hrsg.): „Daß wir in Bosnien zur Welt gehören. Für ein multikulturelles Zusammenleben“. Benziger Verlag, Solothurn/Düsseldorf 1995, 305 S., 26,80 DM

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