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In der Falle

Die kleinen Ladenmädchen haben ausgeträumt: Claude Chabrols „Biester“ ab heute im Kino  ■ Von Katja Nicodemus

Die Augenbrauen von Stéphane Audran, blasierteste Linie der Filmgeschichte, Inbegriff bourgeoiser Borniertheit und Heuchelei. Ab Mitte der Sechziger spielte Audran in den Filmen, die Chabrol den Ruf des Chronisten und Analytikers der französischen Bourgeoisie einbrachten. Atmosphärische Einheit. Gehobenes Bürgertum, feine Villen, Landhäuser, Provinzstädtchen. Hinter strengen Konventionen, eleganten Umgangsformen und gesellschaftlichem Schein Korruption, Intrige, Machtgier, Sadismus.

Mit der mörderischen Hélène Masson („Vor Einbruch der Nacht“), der untreuen Lucienne Delamare („Blutige Hochzeit“) hat Cathérine Lelièvre (Jacqueline Bisset) nicht mehr viel gemein. Von der kühn gezupften Kurve der Audran zum sanften Bogen der Bisset-Braue – die Bourgeoisie geht mit der Zeit. Zum ersten Mal und auf den ersten Blick darf sie bei Chabrol richtig nett sein, sogar entspannt. Cathérine Lelièvre, stets tipptopp, liebende Ehefrau, nachsichtige Mutter und mit ihrer kleinen Boutique regelrecht emanzipiert. Auf seine grobschlächtigen Vorgänger würde Georges Lelièvre nur noch spucken. Der Fabrikant ist Feingeist, Bibliophiler, Mozartliebhaber. Zu Sophie (Sandrine Bonnaire), der neuen Hausangestellten, ist die Herrschaft zuvorkommend, stellt ihr den alten Fernseher ins Dachzimmer, sogar Fahrstunden würde man finanzieren. Doch die Dienstmädchen sind schon in der Postmoderne. Mit ausdruckslosen Augen, fast autistisch, fegt Sandrine Bonnaire durchs stilvolle Schlößchen. Am Reichtum interessiert sie nur der Staub darauf.

Der Traum des kleinen Ladenmädchens vom großen Luxus, noch geträumt in „Die Unbefriedigten“ (1960), ist ausgeträumt. In „Biester“ steht zwischen Unten und Oben die Glotze. Statt auf die Güter der Geldgeber starrt Sophie allabendlich auf Gameshows. Die Lelièvres hören ihren Mozart, und eigentlich könnte alles so weitergehen. Doch die Fronten sind klar. Schon zu Anfang, wenn Cathérine Lelièvre der zukünftigen Hausangestellten im Café begegnet. Aus der Halbtotalen fährt die Kamera bedrohlich auf die beiden Frauen zu, die sich im Profil wie Kriegerinnen gegenübersitzen. Madame ist in der Falle, ihr Schicksal besiegelt.

Nicht Bosheit manövriert die Bürger in die Katastrophe. Es ist der Drang zum Guten. Ein Nietzsche-Satz, ironischerweise von einem dümmlichen Cocktailgast der Lelièvres zitiert, beschreibt Chabrols veränderte, heimtückische Haltung: „An den ehrbaren Menschen stoßen mich viele Dinge ab, aber gewiß ist es nicht das Böse an ihnen.“ Gerade die kleinen Gutherzigkeiten der Lelièvres entlarven die allgemeine, umfassende Gemeinheit ihrer gesamten Existenzform. So selbstverständlich wie man der Postangestellten aus der Autopanne hilft, wirft man das ölverschmierte Taschentuch durch deren Fahrerfenster.

Bei Sophie gerät die hilfsbereite Idealfamilie an die Falsche oder je nach Perspektive an genau die Richtige. Auf freundlichen Rat reagiert sie militärisch: „Hab' verstanden.“ Will nichts als ihre Ruhe, könnte doch jede Kontaktaufnahme das große, ungeheuerliche Geheimnis offenbaren. Sophie ist Analphabetin, verbirgt besessen diese Schande ihres Lebens. Mit der Entdeckung und den wohlmeinenden Hilfsangeboten überschreiten die Lelièvres, ohne es zu wissen, eine tödliche Grenze.

Und Sophie ist nicht allein. Mit Jeanne, der Postangestellten (Isabelle Huppert), stellt ihr Chabrol die komplementäre Komplizin an die Seite. Die will nicht Ruhe, sondern Spaß. Ihr instinktiver Haß auf die Leliévres wirkt wie eine vage Reminiszenz an die Zeiten, als in Chabrol-Filmen noch klare Klassen aufeinandertrafen. Auch Jeanne träumt nicht mehr den Ladenmädchentraum, ihre Revolte ist destruktiv-anarchischer Natur. Während sich die arme Studentin in „Die Freundinnen“ vorm Spiegel mit den Kleidern der eleganten Dame noch in deren Rolle sehnte, zerreißen Jeanne und Sophie jeden Fetzen im Schrank der Lelièvres. Langsam werden sich die beiden immer ähnlicher, entdecken jeweils das Skelett im Keller der anderen. Vom Pferdeschwanz wechselt Sophie zu Jeannes frechen Zöpfchen, wagt Widerworte. Endgültig befreiend dann die Entdeckung ihres Analphabetismus. Sophie hatte nichts zu verlieren, außer diesem Geheimnis. Von der Bibliothek, um die das Dienstmädchen einen ängstlichen Bogen machte, verschiebt sich die Feindschaft, findet endlich den richtigen Fokus: Noch sitzen die Besitzer der Bildungsgüter einträchtig im Wohnzimmer, genießen in Smoking und Abendkleid Don Giovanni. Aber nicht mehr lange. Statt Revolution „drama giocoso in zwei Akten“.

„Biester“, Regie: Claude Chabrol. Mit: Sandrine Bonnaire, Isabelle Huppert, Jaqueline Bisset, u.a. Frankreich, 1995, 111 Min.

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