: Ganz viel Wunschdenken
■ MigrantInnen auf dem Hamburger Arbeitsmarkt: Ein Forum mit vielen ehrenwerten Forderungen und wenig Lösungen Von Patricia Faller
„Durch deutsche Sterbe-Überschüsse und ausländische Geburten-Überschüsse wächst die Bedeutung der ausländischen Bevölkerung für den Arbeitsmarkt“, behauptete Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel gestern auf einem Arbeitsmarktforum der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) zum Thema „Migrantinnen und Migranten auf dem Hamburger Arbeitsmarkt“. Doch die Realität sieht anders aus.
Die Arbeitslosenquote unter MigrantInnen in Hamburg war im vergangenen Jahr mit 18,9 Prozent fast doppelt so hoch wie die bei deutschen ArbeitnehmerInnen. Viele sind gar nicht beim Arbeitsamt gemeldet, so daß die Dunkelziffer noch höher sein dürfte.
Eine „halbherzige und zögerliche Politik bei der Integration der hier dauerhaft lebenden ausländischen MitbürgerInnen“ sei deshalb nicht länger zu vertreten, formulierte die Senatorin vollmundig, die „volle rechtliche und faktische Gleichstellung“ müsse das Ziel sein. Da wollten sich auch die ForumsteilnehmerInnen nicht lumpen lassen und erarbeiteten viele revolutionäre und ehrenwerte Forderungen, die aber wohl Forderungen bleiben werden.
Ein Antidiskriminierungsgesetz zum Beispiel, das neben einer Quotierung vorsehen könnte, daß ein Betrieb nachweisen muß, warum ein ausländischer Bewerber die Voraussetzungen auf einen Arbeitsplatz nicht erfüllt. Bei Arbeitsplatzausschreibungen sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß MigrantInnen erwünscht sind und ausländische Schulabschlüsse anerkannt werden. Nachgezogene Ehegatten sollten frühezeitig ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten sowie Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge anerkannt werden. Das Arbeitsförderungsgesetz, das Deutsche bevorzugt, müßte abgeschafft, Gesetze, die die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis regeln, erneuert und vereinfacht werden.
Die größten Barrieren für den Zugang zum Arbeitsmarkt seien die Qualifikation der Zuwanderer, die Sprache und nicht zuletzt auch Ressentiments. Die Integration von MigrantInnen, so Uwe Riez vom Amt für Arbeit und Sozialordnung der BAGS, sei nur „ein bißchen Realität und ganz viel Wunschdenken“. Die Integration fördern könnten Praktika für Jugendliche und Sprachschulung während der Ausbildung. Denn ausländische Jugendliche erfüllten zwar zu 80 Prozent die formalen Voraussetzungen für eine Berufsausbildung, dennoch schaffen diesen Schritt nur wenige. Und wenn, dann meist in gewerblichen Berufen, wo aber derzeit die meisten Arbeitsplätze abgebaut werden.
Kein Wunder also, daß in Berufen, die bei Deutschen eher unbeliebt sind, der AusländerInnenanteil am höchsten ist: In der Fleisch- und Fischverarbeitung liegt er bei 63 Prozent, im Reinigungsgewerbe bei 35 Prozent. Zudem würden ausländische Arbeitnehmer hauptsächlich als Konkurrenten um Arbeitsplätze, Nutznießer von Sozialleistungen und Belastung für öffentliche Kassen betrachtet.
Daß dies auch mal anders war, erzählte der „Vorzeigeausländer“, wie er sich selbst betitelte, Yilmaz Cengiz, der seit 30 Jahren in Hamburg lebt und als Architekt für einen internationalen Konzern arbeitet. Seine Erfahrung bei der damaligen Arbeitssuche: „Da griff der Mitarbeiter der Ausländerbehörde noch eigenhändig zum Telefon, um eine Stelle zu vermitteln.“
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