: Ohrfeige ohne Substanz
■ Sachverständigenrat warnt vor der Europäischen Währungsunion ab 1999
Bonn (dpa/AFP/AP) – Die Bundesrepublik wird nach Einschätzung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in diesem Jahr wohl nicht die Kriterien für die Europäische Währungsunion erfüllen. Das staatliche Defizit von 3,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liege über den im Maastricht-Vertrag erlaubten 3 Prozent. Die sogenannten Fünf Weisen warnen vor einem Start der Währungsunion im Jahr 1999, da nur wenige Länder – derzeit nur Luxemburg – die Maastricht-Kriterien erfüllen könnten. Diese aber müßten absoluten Vorrang vor Terminplänen haben.
In seinem Jahresgutachten wies der Rat außerdem auf die Gefahren für den Wirtschaftsstandort Deutschland hin. Staatsausgaben dürften nicht weiter steigen, und die Lohnpolitik dürfe sich nicht länger an Erhaltung oder gar Steigerung der Realeinkommen orientieren, heißt es in der gestern vorgelegten Studie mit dem Titel „Im Standortwettbewerb“.
Für 1995 und 1996 rechnen die Experten mit einem Wachstum von jeweils nur 2 Prozent – zuwenig für einen Abbau der Arbeitslosigkeit. Die werde unverändert bei 9,3 Prozent im Westen liegen. Im Osten werde sie leicht zurückgehen auf 13,8 Prozent nach 14,2 Prozent in diesem Jahr. Die Inflationsrate werde auf 2,25 Prozent steigen.
Um eine geringere Steuer- und Abgabenbelastung zu erreichen, fordern die Fünf Weisen einen über drei Jahre verteilten Abbau des Solidaritätszuschlags ab 1997. Außerdem sollen die Gewerbekapital- und die Vermögensteuer wegfallen. Dazu müsse der Staat 30 bis 40 Milliarden Mark sparen. Zur Finanzierung empfiehlt der Rat, die Kohlesubventionen bis 2006 zu beenden.
Die SPD sieht in dem Gutachten eine „Ohrfeige für Waigel“, bei den Empfehlungen des Rates aber „wenig Substanz“. Die Gewerkschaften kritisierten vor allem die Empfehlung für niedrigere Lohnabschlüsse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen