Die Sanierungspolitik neu anpassen

■ Die Hoffnung, daß durch die Investitionen des ISP die Einnahmen des Landes steigen würden, trügt. Daher die Erfindung der Minus-Tilgung (Nölle). „Veränderungen am ISP werden unumgänglich sein.“ Von Carsten Sieling, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter

Mit einem Koalitionsschwur werden bekanntlich keine Probleme gelöst. So ist es auch diesmal. Die Debatte um Sanierung, Entschuldung, Ausgabenreduzierung und Investitionssonderprogramm hat die SPD-Fraktion und ihr Vorsitzender Christian Weber in der vergangenen Woche neu eröffnet. Die Gründe hierfür waren offensichtlich und drängend: Betrug die Tilgungsrate in der 'Ampel' 1994 noch 330 Mio. DM, mußte Finanzsenator Nölle für dieses Jahr nun den neuen Terminus der „Minus-Tilgung“ erfinden, um zu beschreiben, wie deutlich er sein selbst gestecktes Ziel einer jährlichen Schuldentilgung in Höhe von 600 Mio. DM verfehlte.

Diese neue Situation verändert die Voraussetzungen für die Sanierungspolitik und insbesondere für das Investitionssonderprogramm (ISP) nachhaltig, kommt aber nicht vollkommen überraschend. In der SPD-Fraktion sind diese Entwicklungen mit dem Willen zum sorgsamen Nachdenken und Überprüfen der einzelnen Vorhaben aufgenommen worden. Nicht der Abschied vom Sanierungsziel, sondern die erneute Hinwendung zum Sanierungsvorhaben stellt den Kern der Überlegungen dar. Denn der Abschied von den ursprünglichen Prämissen der Sanierung droht durch die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Realität. Die Politik hat diese veränderte Realität aufzunehmen und Konsequenzen zu ziehen.

Der politische Konfliktkern liegt auf der Hand: Während durch die strikte Ausgabendisziplin in den Sach- und Personalhaushalten Theater, Altentagesstätten, die Jugendarbeit, die öffentlichen Bibliotheken, die Pflege der städtischen Grünanlagen, der Zustand öffentlicher Gebäude und Straßenzüge usw., kurz: das, was die Stadt für die Bürgerinnen und Bürger lebenswert macht, radikal beschnitten wird, sollen auf der anderen Seite Großprojekte mit enormem Investitionsaufwand unverändert realisiert werden. Und dies, obwohl sich seit Beginn des Sanierungsprogramms die Voraussetzungen für diese Politik deutlich gewandelt haben.

Bezugspunkt für die Sanierungspolitik bildet der Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts aus den späten Mai-Tagen 1992, der das Sanierungsprogramm des Landes nach sich zog. Das zentrale finanzpolitische Ziel, das in dem Urteil vorgegeben wird, ist die Senkung der Zins-Steuer-Quote (Verhältnis von Zinszahlungen zu Steuereinnahmen) bis 1998 von 24,4 Prozent auf das Niveau Schleswig-Holsteins von 13,7 Prozent gesenkt werden. „Eine Sanierung“, so steht in Konsequenz dieses Richterspruches im Bremer Sanierungsprogramm geschrieben, „die dies nicht gewährleistet, wäre im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG ungeeignet zur Beseitigung der bestehenden Haushaltsnotlage.“

1995 ist die Reduzierung dieser Quote auf 13,9 Prozent durch die Realität längst überholt. Klar ist, daß die angestrebte Teilentschuldung wohl nur noch durch ein Wunder erreichbar ist. Deutlich gesagt werden muß: Die mangelnde Schuldentilgung erfolgt, obwohl Bremen das Ausgabenwachstum des Haushaltes auf deutlich unter 3 Prozent begrenzt hat und damit die vereinbarten Vorgaben übererfüllt hat. Die Mischung aus Konjunkturschwäche, Steuerrechtsänderungen im Bund und Finanzreform, externe Faktoren also, sind verantwortlich für diesen Zustand. Gegenüber den Eckdaten des Sanierungsprogramms hat der Stadtstaat Einnahmeausfälle von über einer Milliarde DM in 1995 und 1,135 Mrd. DM 1996 zu erwarten. Soviel ist bei den Ausgaben nicht zusätzlich einsparbar, damit wird Tilgung unmöglich.

In der aktuellen Diskussion geht es vordergründig um die Frage, ob die Sonderinvestitionen auch um den Preis einer sich verschlechternden Tilgungsleistung zu tätigen sind. Denn das ISP soll entsprechend der von Bremen unterzeichneten Sanierungsvereinbarung finanziert werden aus den Zinsersparnissen, die bei erfolgreicher Teilentschuldung entstehen. Nun kommt es aber nicht zur Teilentschuldung, weil die Sonderzuweisungen aus Bonn angesichts der drastisch verschlechterten Rahmenbedingungen nur zur Vermeidung einer erneuten Nettokreditaufnahme eingesetzt werden muß. Entschuldung findet nicht statt, Zinsersparnisse fallen nicht an, die geplante Finanzierungsbasis des ISP entfällt.

Dieses aber wollen viele nicht hinnehmen, stellen die Sonderinvestitionen doch den einzigen Bereich dar, in dem noch politisch gestaltet werden kann. Und dann sind da natürlich noch die Prestige-Projekt-Fetischisten, die sich mit dem ISP ihr Medium zur Verwirklichung von so manchem alten Investitionstraum geschaffen haben. Diese Investitionspolitiker nach Gutsherrenart interessieren sich nicht für Zins-Steuer-Quoten und Schuldenabbau, sondern hoffen seit mindestens einem Jahrzehnt auf Einnahmeverbesserungen durch Wirtschaftskraftstärkung. Immer frei nach dem Motto 'Die (wirtschaftsdienliche) Investition von heute ist das Wachstum von morgen und die Steuereinnahme von übermorgen'.

Um diesem Dreisatz weiter nacheilen zu können, ist schon zu Ampel-Zeiten der 'Doppelungseffekt' erfunden worden: Wenn Bremen die Sonderzuweisung nicht erhalten hätte, so wird argumentiert, hätte es sich eingedenk der tatsächlichen Haushaltslage '95 nicht mit einer bescheidenen „Minus-Tilgung“ zufrieden geben können, sondern hätte eine Nettokreditaufnahme um eben diese Bonner 1,8 Mrd. DM pro Jahr vornehmen müssen. Also dürfe man, so wird geschlußfolgert, auf diese 1,8 Mrd. DM eine Zinsersparnis kalkulieren, egal ob damit nun entschuldet oder Neuverschuldung vermieden wurde. So etwas nennt sich Finanzakrobatik.

Der Grund für all diese Interpretationsmühen besteht in der Hoffnung, durch die Sonderinvestitionen wären Einnahmesteigerungen zu induzieren, die die Zinskosten decken würden und vielleicht gar darüber hinaus gingen. Die Realität jedoch trübt diese Hoffnungen. Einnahmesteigerungen ergeben sich kaum, weil die Investitionen leider keine hinreichende Steigerung des Steueraufkommens durch Wachstum und Beschäftigung auslösen. Einen Gutteil Schuld hieran trägt die Steuerpolitik der Bundesregierung, durch die das Unternehmenssteueraufkommen trotz Wirtschaftswachstum schwach bleibt. Die geplante 'Reform' im Bereich der Gewerbesteuer wird diese Entwicklung noch verstärken. Wirtschaftsstrukturpolitik wird damit für die Länder und Kommunen – fiskalisch betrachtet – weniger einnahmewirksam.

Hinsichtlich der Einnahmeverbesserungen durch eine Zunahme von Arbeitsplätzen besteht eine doppelte Klemme: Wirtschaftswachstum zieht immer weniger positive Beschäftigungswirkungen nach sich. Das jobless growth wird zum dominanten Entwicklungstyp unserer hochproduktiven Wirtschaft. Ohne Arbeitsplätze aber keine Lohn- und Einkommenssteuern – und wenn, dann fließt ein Großteil des Aufkommens direkt ins niedersächsische Umland.

Dies ist die zweite strukturelle Klemme für die Wachstums- und Sanierungsstrategie unseres kleinen Bundeslandes. Wegen der Steuerveranlagerung am Wohnort überweisen die Unternehmen einen Großteil des bei ihren entstehenden Lohn- und Einkommenssteueraufkommens an die Speckgürtel-Gemeinden. Bei einigen Großbetrieben beträgt dieser Anteil schon über 55 Prozent. Beziffern läßt sich dieser Effekt etwa folgendermaßen: 1991 wurden bei den Finanzämtern in Bremen und Bremerhaven Lohn- und Einkommensteuer in Höhe von 3,3 Mrd. DM abgeführt. Davon flossen im Zuge der Zerlegung 42,5 Prozent an den Bund, so daß in Bremen und Bremerhaven 1,9 Mrd. DM verblieben. Geht man von dieser Größenordnung aus und nimmt bei vorsichtiger Schätzung an, daß etwa ein Drittel der Beschäftigten ihren Wohnsitz in Niedersachsen haben, entgehen dem Stadtstaat gut 600 Mio. DM Steuereinnahmen aus bremischen Arbeitsplätzen. Und dies ist eine vorsichtige Schätzung.

Was heißt all dies für das ISP und die gesamte Wirtschaftsstruktur- und Investitionspolitik Bremens? Die wirtschaftskraftstärkenden Effekte von Landesinvestitionen führen nur sehr vermittelt zu einer Finanzkraftstärkung. Doppelt gesiebt landet nur wenig in den Kassen im Haus des Reichs. Es müssen schon ganz ausgesprochen rentierliche Investitionen getätigt werden, wenn die Rechnung der Investitionspolitiker aufgehen soll. Realistisch muß bezweifelt werden, ob ISP-Projekte Zins und Tilgung wieder einspielen können. Eine nachhaltige Verbesserung der Haushaltssituation Bremens verlangt damit immer noch nach einer anderen Finanzverfassung in der Region, bei der die Benachteiligung der Kernstädte gegenüber ihren Nachbargemeinden aufgehoben werden muß. Bremen hat deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht auch eine verbesserte Einwohnerwertung im System des Finanzausgleichs verlangt. Ein Ansinnen, das die strukturellen Probleme an einem wesentlichen Punkt behoben hätte, vom Gericht aber zurückgewiesen worden ist.

Das eigentliche Thema heißt also Finanzverfassung. Hierbei stellt sich die Frage, ob die hundertprozentige Steuerveranlagung am Wohnort noch zeitgemäß ist, da die Bürger ja neben den wohnortnahen Infrastruktureinrichtungen auch die arbeitsplatznahen Angebote eines Oberzentrums in Anspruch nehmen. Im Sinne notwendiger Entbürokratisierungen scheint mir eine Aufteilung des originären Steueraufkommens dabei eher geboten als die Weiterentwicklung des sowieso schon aufwendigen Finanzausgleichssystem zwischen Bund und Ländern sowie Ländern und Kommunen. Ein politischer Vorstoß in diese Richtung wird auch deshalb immer notwendiger, weil ja nicht nur die Stadtstaaten von der Finanzkrise bedroht sind, sondern sie sich auch in Hannover, Frankfurt, Stuttgart, Köln und anderen Großstädten manifestiert.

Das politische Kernproblem besteht allerdings in der Tatsache öffentlicher Armut bei privatem Reichtum. Eine durchgreifende Reduzierung der Arbeitslosigkeit, die nur über die Bundespolitik eingeleitet werden kann, ist hierfür die Grundvoraussetzung. Ich halte es darüber hinaus aber für politisch unredlich und finanzwirtschaftlich fatal, gleichzeitig die Ausweitung öffentlicher Investitionen und die Senkung von Steuern und Abgabelasten zu propagieren. Notwendiger denn je ist eine neue Steuerpolitik zur Verbesserung der öffentlichen Einnahmen. Dies muß allerdings die soziale Lage der Republik in allererster Linie berücksichtigen und wird für Besserverdienende kaum aufwandsneutral sein.

Zurück zu Bremen: Wenn das ISP trotz der aktuellen Rahmenbedingungen der „Minus-Tilgung“ umgesetzt wird, werden neue Belastungen für den Haushalt erzeugt. Dabei geht es vor allem um die neu entstehenden Zinslasten, die die zukünftigen Haushalte belasten und dabei im übrigen den belasteten konsumtiven Bereich weiter einengen und somit erneuten Kürzungsdruck auf die Sozialpolitik, die Arbeitsmarktpolitik, die Bildungspolitik usw. ausüben würden. Bei einem unterstellten Zinssatz von 6,5 Prozent werden die vorgesehenen 243 ISP-Millionen in 1996 den Haushalt schon mit fast 16 Mio. DM Zinskosten belasten. Weil jährlich neue Zins- und Investitionskosten hinzukommen, wächst die Summe von Jahr zu Jahr und wird sich zum Ende der Legislaturperiode schon mit etwa 160 Mio. DM Zinslasten im Haushalt niederschlagen. Allein bis 2004, dem Jahr bis zu dem das ISP laufen soll, werden insgesamt 1,6 Mrd. DM Zinsen gezahlt worden sein – wenn der Zinssatz nicht über 6,5 Prozent hinaus steigen sollte. Getilgt ist damit noch kein Pfennig und die Zinslasten werden auch in den darauf folgenden Jahren weiter anfallen – von Jahr zu Jahr in größerem Maße. Die Risiken des ISP-Expanisionskurses sind also enorm und werden Bremens finanzpolitische Lage kaum besser darstellbar machen.

Diese einfachen Zusammenhänge sind es, die in der SPD-Fraktion der Bürgerschaft das Nachdenken über den weiteren Kurs in der Finanz- und Sanierungspolitik Bremens verstärkt haben. Verantwortliche Politik kann die Veränderung der Voraussetzungen für das Sanierungsprogramm weder kommentarlos noch ohne Handeln hinnehmen. Es darf nicht der Fehler begangen werden, das in der Koalitionsvereinbarung beschriebene ISP jetzt schnell zu beschließen und schon zu beginnen, bevor die Beteiligten die jüngsten drastischen Verschlechterungen der Finanzdaten hinreichend bewerten konnten und die notwendigen Schlußfolgerungen und Handlungserfordernisse durchdacht und diskutiert haben. Wir stehen am Anfang der Legislaturperiode und am Beginn der Aufstellung des Doppelhaushaltes. Fakten schaffen ist noch nicht das Gebot der Stunde.

Welche Alternativen für die Zukunft des ISP zeichnen sich ab? Wenn das Investitionsprogramm ohne Abstriche und ohne Neuverschuldung umgesetzt werden soll, bleiben nur zwei Wege – und beide sind politisch inakzeptabel. Zum einen könnten durch weitere Aus- und Aufgabenbeschränkungen in den Sachhaushalten und im personellen Bereich Finanzierungsmittel erwirtschaftet werden. Dieser Weg würde zu Kürzungserfordernissen führen, die noch über die jetzt beschlossenen Haushaltseckwerte hinausgehen müßten. (Schon jetzt gilt: Erneut 19 Mio. DM im Sozialhaushalt zu kürzen und die ABM-Projekte des Arbeitssenators zu gefährden ist für die Menschen in der Stadt nicht vertretbar. Bei den Haushaltsberatungen müssen zusätzliche Bewegungsmöglichkeiten durch die Kürzung von Zuwendungen, beispielsweise bei landeseigenen Gesellschaften geschaffen werden, die auch zu Eckwertverschiebungen führen können.) Weitere Ausgabenkürzungen sind nicht denkbar, Finanzierungspotentiale für das ISP sind auf diesem Weg weder real erzielbar noch politisch durchsetzbar.

Vermögensveräußerungen sind eine zweite Möglichkeit der Finanzierung, die für das ISP in diesem Jahr auch schon praktiziert wurde. Aber das Vermögen reicht kaum hin, das ISP im geplanten Umfang zu finanzieren. Und fast alle bislang vorgelegten Vorschläge zur Veräußerung stoßen auf Ablehnung, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht vertetbar sind und in den kommenden Jahren neue Folgekosten für den Haushalt nach sich ziehen würden. Deutlich ist dies im Bereich der Wohnungsunternehmen, deren Veräußerung von der SPD-Fraktion erst jüngst wieder abgelehnt wurde, da sich hieraus nicht nur sozialpolitisch unkalkulierbare Folgen (z.B. Wohnungsnotstandsversorgung durch die Bremische) ergeben würden, sondern auch ein wichtiges Instrument für die Umsetzung des Programms zur Stadtreparatur aufgegeben würde.

Wie zweifelhaft Anteilsverkäufe aus finanzpolitischer Sicht sein können, hat sich ja auch beim Stadtwerkeverkauf gezeigt, durch den nun höhere Körperschaftssteuern und geringere jährliche Gewinnzuweisungen an die Stadt anfallen. Meistens handelt es sich bei dem in Rede stehenden Eigentum um städtisches Vermögen. Diese Vermischung von kommunalen und Landesangelegenheit hat schon in der Vergangenheit die Aufmerksamkeit des Rechnungshofs erregt. Der Verkauf der Landesbank mag eine Möglichkeit darstellen, die auch einmalig einen bestimmten Betrag erbringen würde. Auf Sicht ist das ISP damit aber nicht finanzierbar.

Als einzig realistischer Weg zur Vermeidung finanzpolitische negativer Effekte durch das ISP verbleibt nur dessen aus- und aufgabenkritische Überprüfung. Das bedeutet aber keinesfalls, das ISP insgesamt zur Disposition zu stellen. Sonderinvestitionen sind notwendig, weil das Programm erstens eine ganze Reihe interessanter und zukunftsorientierter Maßnahmen umfaßt, deren Realisierung für die Standort- und Lebensqualität ausgesprochen sinnvoll sind. Und zweitens sind Investitionen ein wesentlicher Beitrag zur Zukunftsvorsorge eines Gemeinwesens, die nicht über Gebühr vernachlässigt werden darf. Bremen hat unter dem Diktat der engen Finanzierungsspielräume seine Grundinvestitionen schon kräftig beschnitten. Das ISP ist auch angelegt als Aufstockung dieser Grundinvestitionen und darf von daher jetzt auch fiskalpolitisch nicht unbegrenzt zusammengestrichen werden.

Veränderungen am ISP werden aber unumgänglich sein, sie müssen allein aus finanzpolitischen Erwägungen erfolgen. Überhaupt nichts halte ich von einer Überideologisierung dieser Frage, die darin mündet, daß sich in Bremen die 'Grenzen des Wachstums' nun eben als erstes zeigen würden und man damit unfreiwilliger Vorreiter des letztlich doch notwendigen Verzichts sei. Eine solche Argumentation fällt weit zurück hinter eine auch bei den Grünen formulierte wirtschaftspolitische Strategie, die

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nicht Wachstum per se ablehnt, sondern Art und Qualität der Wachstumsbereiche zum Nukleus ihrer Politik macht. In der sozialdemokratischen Diskussion sprechen wir von der Politik ausgewählter Wachstumsfelder, die den ökologisch-sozialen Umbau der Wirtschaft zum Ziel hat. Auch wenn dies zugegebenermaßen häufig nicht die wirtschaftspolitische Tageswirklichkeit darstellt, darf hieraus kein roll-back zu einer Nullwachstumsvariante gefolgert werden, die neben ihren sozialen Mängeln auch die globalen ökologischen Probleme nicht wird lösen können.

Begonnen werden muß jetzt mit einer detaillierten Überprüfung des 4,9 Mrd. DM umfassenden Programmpakets. Welcher Kraftakt hiermit für die investierenden Ressorts erneut verbunden sein wird, zeigt sich beim Blick auf die Anfang November um 1,5 Mrd. DM gekürzten Ressortanmeldungen. Die Überanmeldungen machen auch den aufgestauten Investitionsbedarf in Bremen und Bremerhaven deutlich, der bei allen Überlegungen nicht übersehen werden darf.

Trotzdem muß nochmals jedes Projektvorhaben auf den Prüfstand gestellt werden. Hierzu gehört an erster Stelle die Frage, welche verkehrstechnischen Alternativen zum Hemelingen Tunnel, dem größten ISP-Vorhaben bestehen und was solche Alternativen kosten würden. Es kann zu zeitlichen Verschiebungen von Projekten kommen: Muß die Linie 6 zur Universität 1997 begonnen werden? Kann die Umgestaltung des Hauptbahnhofs nicht noch warten? Was ist mit der Fischereihafendoppelschleuse in Bremerhaven? Und können bei der Umnutzung der Carl-Schurz-Kaserne eventuell bestimmte Vorhaben gestrichen oder gesteckt werden? Wie steht es mit Kostensenkungen bei der Vielzahl kleinerer Vorhaben in den Häfen, der City und bei der Entsorgung? Allein ein Drittel des ISP-Volumens soll zur Aufstockung des Wirtschaftsstrukturpolitischen Aktionsprogramms (WAP) verwendet werden. Wenn hierzu die Einzelprojektvorschläge des Wirtschaftsressorts vorliegen, wird der wirtschaftskraftstärkende Effekt im einzelnen zu überprüfen sein. Hier hinein fällt z.B. auch die endgültige Entscheidung über den Bau der Messehallen und die Verlegung der Eislaufhalle.

Es stehen also eine Vielzahl von Entscheidungen an, bei denen gerade aus parlamentarischer Sicht die Steuerbarkeit und Übersichtlichkeit gewahrt bleiben muß. Schon deshalb bietet es sich an, das ISP schrittweise anlaufen zu lassen. Projekt für Projekt in zeitlich gestaffelter Weise. Wenn der Fahrplan stimmt, führt die Reise auch zum richtigen Ziel. Und der Preis muß stimmen. Hierfür ist ein hartes Kostenmanagement erforderlich. Die Verwirklichung der Projekte darf nicht zu Preissteigerung führen, wie wir es beim Congress-Centrum erlebt haben und wie es im Rüstungsgeschäft sattsam bekannt ist. Auch zur Vermeidung unerfreulicher Preisaufschläge bedarf das ISP von Beginn an einer kritischen Diskussion und Begleitung.

Wird das ISP trotz aller finanzpolitischen Unwägbarkeiten im geplanten Umfang realisiert, wird Nölle seine „Minus-Tilgung“ verstärken müssen. Minus-Tilgung aber heißt, wie Rudolf Hickel jüngst richtig formuliert hat, Neuverschuldung. Ein Vorgehen, das Hickel für die Realisierung des ISP bewußt vornehmen will. Diesen Hickel-Vorschlag hat Finanzsenator Nölle aber erst vor einigen Wochen in einem Brief verbal barsch zurückgewiesen. Bei einem Beharren auf dem ISP in bisheriger Weise würde der Finanzsenator nun aber de facto doch diesen Weg gehen und den Hickel-Vorschlag damit zur Realität werden lassen. Spätestens dann wird über ein Sanierungsprogramm II und die wirklichen Zukunftschancen für die Selbständigkeit Bremens als Land gesprochen werden müssen.