Studentischer Steigflug

Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) will trotz Geldmangels ihrem Namen, „die am (Grenz-)Fluß Gelegene“, gerecht werden  ■ Von Kathi Seefeld

Wenn sich die Woche dem Ende zuneigt oder Feiertage vor der Tür stehen, staut sich in Frankfurt über die Oder hinweg noch immer kilometerweit der Verkehr. Deutsch-polnischer Grenzalltag. Für jene StudentInnen, die in den neuen Wohnheimen auf der polnischen Seite des Flusses leben, ist er allerdings kein Problem mehr. Nach Vorlage ihres Studentenausweises können sie die Gegenspur des Grenzübergangs benutzen, um auf schnellstem Wege von Slubice nach Frankfurt zu gelangen.

Derart unbürokratisch, hofft Professor Hans Weiler, Rektor der 1991 eröffneten östlichsten Universität der Bundesrepublik, sollten künftig alle deutsch-polnischen Fragen zu regeln sein. „Das geht sicher nicht von heute auf morgen. Doch gerade wegen der Viadrina kann man hinsichtlich der vergangenen drei Jahre von einer ausgesprochenen deutsch-polnischen Erfolgsstory sprechen.“ Rektor Weiler, der, ehe er an die Oder ging, an einer kalifornischen Privatuniversität lehrte, spricht von Herausforderungen, wie sie für gestandene Wissenschaftler selten geworden sind. Uni-Pressesprecherin Annette Bauer macht aus ihrer Goldgräberstimmung ebenfalls kein Hehl. Und gern erzählt sie die Geschichte von dem vollklimatisierten Bus, dem eine Reisegruppe aus dem Altbundesgebiet entstieg. „Eine ältere Frau blickte sich suchend um, kam auf mich zu und fragte tatsächlich, ob ich ein bißchen Deutsch sprechen würde. Worauf ich nur antworten konnte, daß die Mehrzahl der Leute in Frankfurt dieser Sprache durchaus mächtig ist.“

Daß die Viadrina, „die am Fluß Gelegene“, Pionierarbeit zu leisten hat, wurde ihr mittlerweile von allerlei Politprominenz bestätigt. Lob und gute Worte gab es für das Engagement zum besseren deutsch-polnischen Miteinander reichlich – Geld aus dem Landeshaushalt fließt dagegen immer spärlicher. „Für die drei neuen Institute und um vorhandene Lehrstühle zu komplettieren“, so Annette Bauer, „sind ganze fünf Planstellen vorgesehen.“ Der Raum für Experimente wie die Einrichtung des „selbstgestrickten Studienganges“ Kulturwissenschaft, bei dem ein Absolvent künftig nicht nur Historiker, sondern gleichzeitig auch Sprachwissenschaftler ist, wird bereits deutlich enger.

Weiler macht die Hochschulpolitik der Bundesrepublik insgesamt dafür verantwortlich. „Die Hochschulen in den neuen Ländern befinden sich sozusagen noch in der Phase des Steigflugs.“ Jeder wisse, daß man beim Abheben von der Rollbahn, um Höhe zu gewinnen, mehr Treibstoff verbrauche, als wenn man einmal die Reiseflughöhe erreicht habe. „Im Steigflug Sprit sparen zu wollen ist verhängnisvoll.“

Den wissenschaftlichen Nachwuchs allerdings schreckt die Bescheidenheit der Mittel offenbar kaum. Fast 2.000 Studenten haben sich inzwischen eingeschrieben. Interessante Ansätze erhoffen sich vor allem jene, die ihr Studium speziell in Richtung Osteuropa ausrichten wollen, durch das auf der anderen Seite des Flusses entstehende Collegium Polonicum. An der Viadrina gibt es keine überfüllten Hörsäle, alles ist überschaubar, fast schon familiär. Bei 41 Professoren kenne fast jeder jeden, „häufig kann man ohne Termin und außerhalb der Sprechzeiten mit Problemen zu den Professoren gehen“, beschreibt die Chemnitzerin Anja Beiske ihr erstes Uni-Jahr.

Dafür nimmt man schon einmal in Kauf, daß das Hauptgebäude der Viadrina immer noch nicht saniert ist und in den Gängen oder auch in der „Studentenklause“ der düstere Charme der siebziger Jahre vorherrscht. Die im ausgebauten Dachgeschoß eingerichtete Bibliothek verfügt trotz vieler Lücken in den Regalen jetzt schon über etwa 200.000 Bände. Nicht alltäglich ist auch das Angebot an junge Studentenmütter: Ihre Kinder werden ganztags in einer städtischen Kita betreut.

Der Ansturm auf die Uni durch polnische Studenten, die mittlerweile etwa 40 Prozent ausmachen, wird bereits durch Auswahlverfahren in Poznan und Wroclaw geregelt. „Viele, die hier ausgebildet werden und auch einen in Polen anerkannten Abschluß erwerben können, wissen, daß sie damit gute Aussichten haben, in Sachen Transformation der Wirtschaft künftig ein Wörtchen mitzureden.“ Der Ehrgeiz der polnischen Studenten, so Annette Bauer, befördere das Arbeitsklima an der Uni ungemein. Rektor Weiler sieht vor sich bereits jene JuristInnen, Wirtschafts- und KulturwissenschaftlerInnen, die in ein paar Jahren dazu beitragen, Europa nicht mehr an der Oder für beendet zu erklären. Und Frankfurter Grenzstaus dürften dann der Vergangenheit angehören.