: Juristische Schlappe für Beischlafpreller
■ Amtsgericht Lichtenberg gab einer Prostituierten recht, die Geld vom Freier einklagte. Hydra: Richtungweisendes Urteil
Die Huren feiern einen Sieg: Erstmals liegt ein rechtskräftiges Gerichtsurteil vor, das einer Prostituierten einen einklagbaren Anspruch auf ihren Lohn bestätigt. Das Amtsgericht Lichtenberg hat sich in einem jüngsten Urteil über die gängige Rechtsprechung hinweggesetzt, nach der Prostitution gegen die guten Sitten verstößt. Erstmals hat damit ein Richter anerkannt, daß zwischen einer Hure und ihrem Gast ein wirksamer Vertrag besteht.
Eine Prostituierte hatte im September dieses Jahres einen Stammgast in seiner Wohnung besucht. Nachdem er ihre Liebesdienste in Anspruch genommen hatte, weigerte er sich, den abgesprochenen Lohn zu zahlen. Weil er weder auf Nachfragen noch auf förmliche Mahnungen reagierte, reichte die Prostituierte Klage beim Amtsgericht Lichtenberg ein. Der Richter stellte dem Freier die Klage auf Zahlung von einhundert Mark zu. Der Mann ließ jedoch die zweiwöchige Einspruchsfrist verstreichen und äußerste sich nicht zu der Klage. Deswegen erging am 27. Oktober ein Versäumnisurteil. Wegen des geringen Streitwertes kann der Freier gegen das Urteil keine Berufung einlegen.
„Wir wollten die Probe aufs Exempel machen“, so die Rechtsanwältin Bettina Geißel, die über das Urteil „sehr überrascht“ war. Schon während ihrer Ausbildung habe sie nicht verstanden, daß es für eine erbrachte Leistung keine Gegenleistung geben soll. „Das ist doch etwas Heiliges im deutschen Recht“, so die Anwältin. Auch wenn ein anderes Amtsgericht vielleicht anders entschieden hätte, hofft Bettina Geißel auf eine „Signalwirkung“. Prostitution müsse endlich als ordentlicher Beruf anerkannt werden.
Zwar müssen Prostituierte ihr „sittenwidriges“ Geschäft versteuern. Von der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aber sind die Huren nach wie vor ausgeschlossen. Besonders schlimm ist der Ausschluß von der Krankenversicherung.
Auch die Frauen von Hydra, Treffpunkt und Beratung für Prostituierte, sind über den mutigen Spruch des Lichtenberger Amtsrichters erfreut. „Das ist richtung- weisend“, so Andrea Petsch. Die Hurenbewegung geht davon aus, daß damit eine für sie positive Änderung in der bisherigen Rechtsprechung begonnen hat. „Auf jeden Fall werden weitere Prostituierte mutig diesem Beispiel folgen und mit Unterstützung des Hydra- Rechtshilfefonds ihren Anspruch auf Bezahlung des vereinbarten Lohns einklagen“, heißt es nun in einer Pressemitteilung.
Frauensenatorin Ingrid Bergmann (SPD), die sich in der Vergangenheit wiederholt für die Berufsanerkennung ausgesprochen hatte, wollte sich gestern zu dem Urteil nicht äußern. Der christdemokratische Gesundheitssenator Peter Luther jedoch, der sich vor zwei Jahren überraschend für eine Anerkennung der Prostitution als Beruf und für entsprechende soziale Absicherung aussprach, begrüßte die Entscheidung. Das Urteil gehe, so Luther gestern, „in die richtige Richtung“. Barbara Bollwahn
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