Mit dem Kulturrevolutionär in neue Höhen

■ Erst zum Rückrundenbeginn fängt das Publikum des klaren Zweitliga-Tabellenführers VfL Bochum langsam zu ahnen an, was es an seinem Trainer Klaus Toppmöller hat

Bochum (taz) – Es hat gedauert, und noch ist der letzte Zweifler nicht überzeugt, aber die Kulturrevolution ist nicht mehr zu stoppen. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich die Glaubenssätze beim VfL Bochum um die drei heiligen Begriffe „Kämpfen, Rackern, Malochen“ drehten. Im Ruhrstadion wird – wann konnte man das schon einmal behaupten? – feiner Kombinationsfußball gespielt. Nach einigen Monaten der Irritation jubelt das Publikum, und seit Mannschaftskapitän Wosz per offenem Brief auf Klaus Toppmöllers Anteil am Bochumer Aufschwung hinwies, feiert es inzwischen auch den Bilderstürmer auf der Trainerbank. Der ist ein fußballbesessener Kettenraucher, wirkt nicht nur auf VfL-Fans mitunter etwas undurchsichtig, zeigt dafür aber ein Selbstbewußtsein vor, das für den Gewinn der Weltmeisterschaft ausreichen könnte. Toppmöller ist einer, der sich nicht scheut, auf eigene Qualitäten zu verweisen: „Ich habe schon früher bewiesen, daß ich eine Nase für gute Spieler habe.“ In Bochum hat er dies sehr verwegen bestätigt, indem er die sehr beliebten Proto-Bochumer Stöver und Reekers („mit denen kann man keine Raumdeckung spielen“) aussortierte und dann gerade Peter Közle, Thomas Stickroth und Thorsten Kracht verpflichtete.

Als er deren Namen dem Vorstand nannte, „haben sie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen“. Közle galt in Duisburg als Musterbeispiel für den durchgedrehten Show-Profi, Stickroth wurde vor Jahren mit einer Discoschlägerei notorisch, und Kracht fiel in Stuttgart durch, um kleinlaut nach Leipzig zurückzukehren. Doch sie haben Toppmöller machen lassen, und jetzt gehören die drei zum Stamm seiner Mannschaft.

Toppmöller (44), Sohn eines Gastwirts aus dem Moseldorf Rivenich, ging ins Skandalbuch der Bundesliga ein, als er 1976 mit seinem Ferrari einen Unfall baute und danach auf Fahrerflucht 16 Stunden durch den Wald irrte. Damals kostete ihn das den Platz in der Nationalmannschaft. Vielleicht ist es Toppmöller auch deshalb sympathisch, wenn Menschen mal in die eigenen Abgründe geschaut haben. Oskar Lafontaine etwa findet der Scharping-Freund auch wegen einer Affäre im Rotlichtmilieu glaubwürdig: „Der hat halt Ecken und Kanten und macht, was alle mal machen. Schließlich versackt jeder mal.“

Auch Toppmöllers Trainerkarriere versackte mitunter. Stets fing er groß an und ging dann im falschen Moment. Wismut Aue verlor mit ihm in neun Monaten kein Spiel. Dann wechselte er zu Waldhof Mannheim weiter, wo er 1993 fast in die Bundesliga aufstieg. „Es war ein Riesenfehler, daß ich dort gegangen bin. Meine Arbeit war noch nicht fertig“, sagt er heute.

In Frankfurt wurde er erst für tollen Fußball, dufte Sprüche („Bye, bye, Bayern“) und extreme Motivationstricks (Steinadler in der Mannschaftssitzung) gefeiert. Dann flog Toppmöller, weil er sich mit dem geschaßten Uli Stein solidarisierte, und alles, „was vorher positiv war, galt nun als negativ“. Deshalb lehnt er inzwischen auch Fernsehauftritte ab: „Wer da offen seine Meinung sagt, kriegt es doppelt und dreifach in die Fresse zurück. Ich gehe nur ins Fernsehen, wenn ich vom Vorstand oder Sponsor dazu gezwungen werde.“

Toppmöller hat erkannt, daß er sein etwas unscharfes Image in Bochum korrigieren kann: „Ich will beweisen, daß ich eine gestandene Mannschaft aufbauen kann.“ Vorstand und Mannschaft glauben das inzwischen und sind begeistert von ihm. Darius Wosz ist sogar der Meinung, daß im Moment „alles perfekt“ ist. Wenn man der Tabelle trauen will, kann Wosz nicht falsch liegen. Nach Abschluß der Vorrunde hat Bochum (39) sieben Punkte mehr als der Tabellenzweite MSV Duisburg. Und wenn man den am ersten Rückrundenspiel diesen Montag im Ruhrstadion schlägt...

Auch das von zu vielen Versprechungen und zu vielen Enttäuschungen entnervte Bochumer Publikum glaubt langsam, daß es mit Toppmöller vielleicht doch mal eine Zukunft gibt. Und der will diesmal nicht gehen, bevor seine Versprechungen nicht eingelöst sind: „Ich glaube, daß ich in Bochum meine Trainerkarriere beenden werde.“ Das klingt nun zwar sehr erstaunlich, aber bei Toppmöller auch immer entschlossen. Christoph Biermann