: Gaskammersong & Granaten
■ Milde Bewährungsstrafe für Studenten, der scharfe Granaten und rechtsextremes Propagandamaterial im Uni-Schließfach aufbewahrte: Vermeintlich nur ein kleiner Fisch
Wenn ein junger Mann so auf der Suche nach seinem Platz im Leben ist, kann er schon mal in die Hooligan-Szene geraten und seine Wochenenden damit verbringen, mit den Schlägern vom Dienst die Republik unsicher zu machen, weil's irgendwie interessant ist. Wenn er dann fußballmäßig in den Kneipen unterwegs ist, kommt halt auch ab und zu einer rein und bietet geklaute Autoradios an, die er kauft und weiterverscherbelt. Und wenn er dann ein Faible für Waffen hat, kauft er auf einem Militaria-Flohmarkt in Berlin unterm Ladentisch eben auch mal sieben zum Teil scharfe Granaten, 42 Sprengzünder, sechs Schrotpatronen und 25 Stück Pistolenmunition, gab's ja schließlich nach der Wende alles problemlos. Entwickelt unser junger Mann auch ein geschichtliches Interesse, sammelt er halt auch Brettspiele namens „Jude ärgere dich nicht“ oder Flugblätter mit dem „Gaskammersong“.
Als „verwöhnte Blage aus Schwachhausen“ auf geringfügigen Abwegen stellte gestern sein Verteidiger den heute 30jährigen Chemiestudenten Wolfgang T. dar, der im September 1993 an der Universität Bremen für einigen Wirbel gesorgt hatte. Durch den Wink eines verhafteten Hooligans hatte die Polizei in seinem Unischließfach rechtsextremistisches Propagandamaterial, Sprengstoff und scharfe Granaten entdeckt. Das brachte ihm gestern eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Sprengstoffgesetz und das Waffengesetz sowie wegen Hehlerei ein – nur knapp kam T. um einen Aufenthalt im Knast Oslebshausen herum. Die Strafe von einem Jahr und acht Monaten wurde auf Bewährung ausgesetzt, obendrein muß er vierteljährlich 100 Mark an das Fanprojekt Bremen bezahlen. Nach der Entdeckung wollte die Uni Bremen ein Hausverbot aussprechen – das umging T., indem er nach Oldenburg wechselte.
Der Chemiestudent, der das alles offentichtlich für eine harmlose Sache hält, distanzierte sich gestern erneut vom Inhalt der hetzerischen Schriften: „Ich will, daß aus der Welt kommt, daß ich ein Neonazi bin“. Die Polizei, die bei einer ersten Hausdurchsuchung Hehlerware war, hatte nach der Entdeckung von rechten Kampfaufrufen mit Hakenkreuzemblem und hetzerischen Aufklebern wie „Rotfront verrecke“ oder „Tod den Judenparteien KPD, SPD, CDU, CSU, FDP“ den Abschnittsbereich „Rechtsextremismus“ eingeschaltet. Der hörte in der Folgezeit auch das Telefon des damals 28jährigen ab, der bis heute bei seiner Mutter lebt.
Bis auf enge Verbindungen zu einem Freund, der wegen bewaffneten Raubüberfalls auf einen Geldtransporter im Gefängnis sitzt, konnte ihm allerdings kein Kontakt zu rechtsextremen Gruppen nachgewiesen werden. T. gab an, lediglich aus Interesse an „Militärkram“, den er auf dem Flohmarkt auf der Bürgerweide weiterverkaufte, einmal für 600 Mark das Paket mit Sprengstoff, Granaten und anderem erstanden zu haben, weil er das als angehender Chemiker „mal kurz auseinandernehmen“ wollte. Ansonsten wollte er den Kram „einfach haben – da hat man halt nicht groß drüber nachgedacht“. Wie wohl über die meisten Dinge nicht. Auch daß er nach dem Faux-Pas der Polizei, die die beiden angeblich offen in der Wohnung herumstehenden Kisten bei der ersten Hausdurchsuchung schlicht übersehen hatten, die scharfen Waffen in der vielfrequentierten Uni deponierte und damit auch Menschen hätte gefährden können, war ihm nicht bewußt. T. gab außerdem an, in seiner Wohnung ebenso linkes Material gesammelt zu haben – „das hat die Polizisten aber überhaupt nicht interessiert.“
Richter Christian Zorn versuchte in der Verhandlung herauszufinden, ob T. vielleicht nicht den zuschlagenden, sondern mehr den geistigen Brandstiftern zuzurechnen sei. In der Wohnung des Angeklagten wurden nämlich auch Kopiervorlagen einer Fanzeitschrift gefunden, die unter anderem mit einem Galgen verzierte Parolen wie „Nur ein toter Kölner ist ein guter Kölner“ enthielt. Das Gericht glaubte aber, daß T. solches Material nur gesammelt, nie aber selbst produziert hatte.
Sowohl die Hooligan-Zeit als auch das Interesse an Propaganda und Waffen seien wohl Vergangenheit – und Staatsanwalt, Verteidigung und Schöffengericht waren sich einig, daß hier kein großer Fisch ins Netz gegangen ist. T. ist noch einmal glimpflich davongekommen. skai
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