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■ Seinen richtigen Namen kann er nicht nennen – aus gutem Grund: Er ist V-Mann. Er gehört zu den Topleuten seiner Branche. Von seinem Kaliber, sagt er, gibt es in Deutschland gerade mal 20. Ein Jahr lang dauerte es, bis taz-Autor Detlev Vetten für ein Buchprojekt das Vertrauen des Agenten erwarb. Zusammen haben sie sich den hochgelobten ZDF-Thriller „Der Schattenmann“ angesehen. Fazit des Profis:„Nur Deppen machen beim Umnieten so einen Aufruhr“

Herr... – wie sollen wir Sie anreden?

V-Mann: Mir egal, Önal, Zlatko, Dragan. Oder sagen Sie Nick. Spielt keine Rolle.

Also gut, Nick. Als V-Mann der Polizei haben Sie normalerweise kein Interesse an Interviews. Warum reden Sie dennoch mit uns.

Mir geht es auf den Senkel, was zur Zeit im Fernsehen abläuft. Diese Serien, die sich im Milieu abspielen: durch die Bank ein großer Mist. Und jetzt kommt der Wedel daher und bringt einen Fünfteiler an. Macht ein Riesenballyhoo – weil er für den „Schattenmann“ so supertoll recherchiert und sich zwei Jahre in der Szene kundig gemacht haben will. Er behauptet, er hätte sich mit verdeckten Ermittlern und Leuten von der Polizei getroffen, und die hätten ihm erzählt, was Sache ist. Der will die Zuschauer für dumm verkaufen.

Wie können Sie das beurteilen?

Ich arbeite seit fast zehn Jahren für den Verein. Eingesetzt werde ich bei Fällen, in denen es um Drogen und ums organisierte Verbrechen geht. Meinetwegen sitzen in Deutschland zur Zeit Typen zusammengerechnet rund 200 Jahre Knast ab. Es ist keine Angeberei, wenn ich sage, daß ich als V-Mann ziemlich weit oben auf der Karriereleiter stehe. Wenn man so lange auf hohem Niveau eingesetzt wird, kriegt man mit, was läuft. Und das hat mit dem „Schattenmann“ nichts zu tun.

Geht's präziser?

Ich habe mir einen Block genommen und aufgeschrieben, wo Wedel danebenliegt. Das sind fünf Seiten Mängelliste pro Folge. Da sind zum Beispiel die verdeckten Ermittler im Film. Solche Typen hätten in der Realität keine Chance. Die machen Fehler über Fehler: Der Charlie Held rennt zum Beispiel im Bahnhofsmilieu rum und sagt zu einem Dritten, er solle einem Informanten Stoff besorgen. Sicher werden Junkies mit Dope geschmiert – aber doch nicht so, daß es jedermann auf der Straße mitkriegt.

Das scheint eher eine läßliche Sünde zu sein.

Wenn das der einzige Fehler im Drehbuch wäre! Aber die Person des Charlie Held könnte sich als verdeckter Ermittler nie halten. Der fragt zuviel und hat schlechte Nerven. Einer, der in kniffligen Situationen das große Schwitzen kriegt, wird nicht unter die Leute gelassen. Die Verdeckten, die sich mit den Nutten und den Mafiosi, mit den Polen, den Chinesen und den Russen rumärgern – das sind knallharte Jungs. Von denen zittert keiner beim Schampus-Einschenken, wenn's heikel wird. Und er hat auch keinen Assistenten wie den Hoenig, der im Film dauernd mit vollgesoffenem Kopf rumrennt. Ich habe in meiner Karriere acht verdeckte Ermittler kennengelernt. Die sind psychisch belastbar wie kaum jemand.

Was wird in der Branche über den Film geredet?

Offiziell loben die Bullen den „Schattenmann“ über den grünen Klee. Nicht weil er so wirklichkeitsnah ist – es liegt für jeden, der auch nur ein bißchen Ahnung hat, auf der Hand, daß für den Film schlecht recherchiert worden ist. Gelobt wird Wedel, weil er eben nichts herausgefunden hat und nichts „auspacken“ kann. Hauptsache ist, daß kein Mensch weiß, was wirklich Sache ist und wie die Verdeckten arbeiten. In der Szene kann sich niemand vorstellen, daß Wedel mit einem verdeckten Ermittler gesprochen hat. Auch die Geschichte mit der Handgranate scheint ziemlich unglaubwürdig.

Dieter Wedel sagt, einem seiner Hauptinformanten sei ein Sprengsatz ins Auto geworfen worden. Der Mann sei schwer verletzt worden.

An den Haaren herbeigezogen. Wenn so etwas passiert wäre, wäre das wie ein Lauffeuer durch Frankfurt gegangen. Das läßt sich nicht unter den Teppich kehren. Es gab in den letzten Jahren aber nur ein derartiges Verbrechen. Und das war eine Auseinandersetzung in Dealerkreisen – zu Wedel keinerlei Verbindung.

Was steht denn sonst noch auf Ihrer Mängelliste?

Also gut – zum Abhaken: Im „Schattenmann“ werden zu einem Treffen 100.000 Mark im Aktenkoffer getragen. Den Rechnungshof möchte ich sehen, der das genehmigt. Man hat zwar manchmal Millionen dabei – aber nur, wenn es sich um einen Zugriff handelt, und nicht als Schmiere für einen Informanten. Der verdeckte Ermittler Charlie Held wohnt in Darmstadt und ist in Frankfurt auf einen ganz heißen Fall angesetzt. Unmöglich – bei solch wichtigen Einschleusungen muß ein Ermittler aus einer fremden Stadt ran. Bei Treffen in der Unterwelt wird grundsätzlich von beiden Seiten gefilzt – nicht wie im Film nur von einer Partei. Wenn verdeckte Ermittler zu einem Treffen gehen und der Ort vorher bekannt ist, wird die Lokalität so gründlich durchsucht, daß da keine versteckte Waffe rumliegt wie bei Wedel. Im Büro der verdeckten Ermittler gehen im Film Dutzende von Leuten ein und aus, und Tresore mit wichtigen Papieren stehen offen da rum – so ein Quatsch!

Im Büro der verdeckten Ermittler beging in der vierten Folge am Montag ein Beamter Selbstmord und...

...das ist hanebüchen! Der Mann war gerade verhaftet worden. Man hatte ihm seine Waffe abgenommen, und in einem VE- Büro liegt zu keinem Zeitpunkt eine Waffe offen herum. Außerdem: In den riesigen LKA-Gebäuden sind die VE-Büros absolute Tabuzonen; das ist eine geschlossene Gesellschaft. Bei Wedel wird eine Bombe außen vor die Pizzeria gelegt – aber die Tür und die Fensterscheiben fliegen dann von innen aus der Wand. Der Adorf geht zum Obermafioso und schreit den vor dessen versammelter Familie an. Wenn Wedel richtig recherchiert hätte, hätte er wissen müssen, daß in den hohen Kreisen des Verbrechens so etwas nicht passiert. Nicht mal der schlimmste Prolo-Boß würde derart gegen die Etikette verstoßen. Um an den großen Boß ranzukommen, inszeniert Charlie Held einen Unfall mit dessen Sohn, der Bluter ist. So eine Straftat nimmt keiner auf seine Kappe. Die Observierer stellen sich mit ihrem Wagen direkt vor die Verbrechervilla – da stehen die im wirklichen Leben 20 Minuten, dann sind sie enttarnt. Bei einem Attentat rast ein Wagen durch die Nuttenstraße, und die Typen schießen aus Maschinenpistolen die Magazine leer. Erstens benützt keiner in der Szene noch so große Waffen – jeder hat so kleine tschechische „Skorpions“ oder etwas Ähnliches. Außerdem machen nur Deppen so einen Aufruhr, wenn sie einen Kriminellen umnieten wollen.

Fertig?

Nein. Der verdeckte Ermittler verliebt sich in eine Tussi aus dem Gefolge vom Gangsterboß. An und für sich schon schwer vorstellbar. Er verrät ihr, er sei Bulle. Ein Ding der Unmöglichkeit! Und dann informiert er auch noch seinen Partner. Ganz egal wie befreundet sie sein mögen – jeder Verdeckte würde zu diesem Zeitpunkt den Kumpel als unsicheren Kantonisten seinem Vorgesetzten melden. Ein Ermittler-Pärchen wird aufgespürt und von den Bodyguards des großen Bosses durch die Mangel gedreht. Am nächsten Tag treten die beiden wieder fröhlich ihren Observierungsjob an der Tankstelle an. Blödsinn! So „verbrannt“, wie die sind, werden die eine Zeitlang total aus dem Verkehr gezogen. Charlie Held trifft sich zu „Dienstbesprechungen“ entweder im LKA oder vor einem Ausflugscafé. Wer hat dem Wedel weisgemacht, daß das so laufen könnte? In der heißen Phase sieht den VE kein Kollege mehr – die Verständigung funktioniert nur via Handy oder tote Briefkästen.

Wo ist denn der Film realistisch?

In manchen menschlichen Details. Ein verdeckter Ermittler ist wirklich ein armes Schwein: turnt bei den Nutten und Dealern rum, fährt zwei Stunden später nach Hause und soll Kinder erziehen.

Das müssen ja ziemliche Supermänner sein – knallhart, unbestechlich, edel.

Ach was. Man kann nur sicher sein, daß die Leute in den hohen Einschleusungspositionen ihren Job verstehen. Und daß sie wissen, wie gefährlich sie ab und zu leben.

Wo liegt der Reiz? Das Geld...

Scheiße, nein – das ist's sicher nicht. Nicht bei den verdeckten Ermittlern, die ihr Beamtengehalt mit ein paar Zulagen und die Spesen kriegen. Auch nicht bei den V-Männern. Topleute wie der Mauss – mit Villa, großem Schlitten in der Garage und Pipapo – sind die Ausnahme. Derzeit agiert noch einer in der Neonazi-Szene, der extrem abräumt. Ich selbst habe einen bürgerlichen Beruf; von den V-Mann-Jobs könnte ich nur leben, wenn ich einen Auftrag nach dem anderen annähme. Doch das kriegt keiner nervlich auf die Reihe. Manchmal lebst du wie der King – fährst 'nen Porsche, hast die Rolex am Arm und speist in den feinsten Etablissements. Das gehört dann eben zur Legende. Ein ordentlicher Zuhälter frißt nun mal keine Pellkartoffeln. Aber es gibt auch Jobs, da bist du froh, wenn du die Zielperson zum netten Italiener auf eine Pizza ausführen darfst. Und die Tarife, die ich kenne, sind auch nicht zum Jubeln. Rauschgift zum Beispiel: Wenn beim Zugriff ein Kilo Pulver sichergestellt wird, kriegt der V-Mann zweieinhalb Mille. Oder Falschgeld: Für eine halbe Million Dollar in Blüten gibt's 10.000 Mark. Maximum. Und ich sage Ihnen: Zugriffe in dem Milieu sind haarig.

Warum machen Sie es dann?

Ich habe schon immer den Nervenkitzel geliebt. Als 13-, 14jähriger habe ich Autos geklaut, nur wegen dem Thrill. Bin eine halbe Stunde mit den Schlitten durch die Stadt gehobelt und habe sie irgendwo wieder abgestellt. Und, ob Sie es mir glauben oder nicht – zum Teil arbeite ich als V-Mann aus ideologischen Gründen. Vor meiner Anwerbung habe ich mich schon 15 Jahre im Milieu rumgetrieben – immer mit einem Bein im Knast. Ich habe da so viele Arschlöcher kennengelernt, vor allem in der Drogenkriminalität, daß ich mir immer sagte, denen müßte man was in die Fresse geben. Als mich dann die Bullen anwarben, war ich für den Job mental bereit.

Und heute fühlen Sie sich als Rächer der Gesellschaft? Wir bewundern Sie.

Sparen Sie sich Ihren Spott! Ich bin sicher ein besserer Bürger als viele Herrschaften in Anzug und Krawatte, die jeden Morgen ins Büro marschieren und sich mordsmäßig anständig vorkommen. Und ich weiß, was bei uns gespielt wird. Was in der Kriminalität los ist. Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, es ist fünf nach zwölf. Ihr könnt euch noch so über uns mokieren, aber man braucht uns.

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