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Königinnen der Wirklichkeit

Actionhelden zu Drag Queens, Hausfrauen zu Transvestiten, Schwerter zu Pflugscharen! Beeban Kidrons Travestie-Komödie heißt etwas unhandlich „To Wong Foo, Thanks for Everything! Julie Newmar“  ■ Von Brigitte Werneburg

Sollte man wiedergeboren werden, muß es aus allgemein bekannten Gründen ein zweites Mal als armes, unterdrücktes Frauenwesen eigentlich nicht sein. Aber als Mann will man schon gar nicht wiedergeboren werden. Mannsein ist eine rufschädigende Angelegenheit, durch rüpelhaftes Benehmen (Kriegstreiberei, Chauvinisierung breiter Bevölkerungsschichten, etc.) handelte mann sich schließlich ein katastrophales Image für eine katastrophale Performance ein. Wäre da nicht der Status des „sweet transvestite“ des Dr. Frank N. Furter in „The Rocky Horror Picture Show“, die eleganteste Lösung?

Leider wird man nicht als Drag Queen geboren. Die Reifung zu diesem Geschlecht der besonderen Art ist ein klassischer Bildungs- und Erziehungsroman. Entsprechend nimmt in „To Wong Foo, Thanks for Everthing! Julie Newmar“ das 19. Jahrhundert kein Ende, insofern sich seine Drag Queens als Reparaturarbeiterinnen entpuppen, als edle Seelen im Kampf um die Verbesserung der Welt.

Es sind zwar sehr stilvoll aufgetakelte, aber keinesfalls ausgekochte Schlampen, die in ihrem klapprigen Chevrolet auf große Fahrt gehen: Patrick Swayze als Vida Bohème, Wesley Snipes als Noxeema Jackson und John Leguizamo als Chi Chi Rodriguez. Wobei die Tatsache, daß vor allem Snipes, aber auch Swayze und Leguizamo als harte Actionstars bekannt sind, nicht nur eine besetzungstechnisch wohlkalkulierte Ironie ist, sondern vielleicht auch absichern soll: Wir sind ja hier wohl nicht verdächtig. Daß da Ängste im Spiel waren, läßt auch der Drehbericht erkennen. Vorsichtig hatte man sich an die Leute von Loma, Nebraska herangepirscht und den Film mit „so ähnlich wie Tootsie, wissen Sie“ vor provinziellem Ressentiment zu schützen versucht. Ganz unnötig. „Ach so, Sie meinen Drag Queens“, hatte es da aufgeklärt zurückgeschallt.

Doch ohne Vorurteile keine Komödie. Swayze, Snipes und Leguizamo balancieren den utopischen Rest, den das Spektakel aus der wackligen Vorstellung von der freiwilligen Konstruktion alles Geschlechtlichen saugt, durchaus souverän über die lange Strecke von New York nach Los Angeles. Es war nämlich Vidas sentimentales Herz, das den Ausschlag gab, zwei Flugtickets gegen das alte Kabrio einzutauschen, in dem nun Chi Chi, die unglückliche Verliererin im Wettbewerb um den Titel der New Yorker Drag Queen, mit ihr und Noxeema in Richtung Hollywood, zur nationalen Endausscheidung, fährt. Bis die alte Kiste mitten im mittleren Westen, in Snydersville den Geist aufgibt.

Dort ist tiefste und somit reaktionärste Provinz: also der ideale Ort der Bewährung. Der üble, schießwütige Sheriff Dollard (Chris Peen), der ebenso üble, prügelnde Ehemann Jimmy Joe (Mike Hodge), seine Frau Carol Ann (Stockard Channing), ein Trupp scheuer Hausfrauen sowie der noch formbare Jungmann Bobby Ray (Jason London) sind – neben dem Kinopublikum – die Zielgruppe, die lernt, daß es um den aufrechten Gang geht, der Frauen, Tunten und kleine Jungs zu Menschen adelt und die Männer in die Schranken weist.

Mit dem übrigens nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt, daß der aufrechte Gang Drag Queens die Gelegenheit gibt, ihre exquisiten Kleider vorzuführen. Denn wie Vida Chi Chi erklärt, ist ein Mann in Frauenkleidern ein Transvestit, und ein Mann, der eine Frau sein will und dafür auch kleine Operationen nicht scheut, ein Transsexueller. Aber, so Vida, „nur ein Schwuler, der viel zuviel von Mode versteht, als daß es für ein Geschlecht ausreicht, ist eine Drag Queen“.

Dennoch ist es nicht der direkte Mangel an modischem Sinn, der es verbietet, Chi Chi Rodriguez als Drag Queen zu bezeichnen. Ihre etwas vulgäre Aufmachung verdeutlicht nur, daß sie ein Biest ist, dem höchstens die moralische Reife einer „Drag Princess“ zukommt. Erst mit ihrem Wandel in eine altruistische Sozialarbeiterin in Sachen Liebe erweist sie sich des Titels würdig. Wobei es keine andere als der ehemalige Musical- Star Julie Newmar ist, die ihr schließlich in L.A. die Trophäe überreicht.

Chi Chi erinnert an die Figur der Felicia in „The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert“ und daran, daß „To Wong Foo“ ein wenig die weichgespülte Hollywoodfassung des australischen Road Movies ist. Die drei Cross-Dresser in „Priscilla“ sind nämlich genau das, was Swayze, Snipes und Leguizamo nach dem Drehbuch von Douglas Carter Beane und unter der Regie der Engländerin Beeban Kidron dann eben doch nicht sind: schwule, komplexe Charaktere, und als solche attraktiv und provokant.

Wenn die Hausfrauen von Snydersville am Ende zu erkennen geben, daß ihre Freundschaft zu Vida, Noxeema und Chi Chi gerade mit ihrer Faszination an deren Travestie zu tun hat, über die sie nie im Zweifel waren, dann nennt Carol Ann Vida einen „Engel“. Das ist der berühmte faule Kompromiß. Denn bekanntlich sind Engel nicht schwul, sondern geschlechtslos, und ihr Modeverständnis ist eher einfältig. Engel werden auch von Hetero-Männern nicht verprügelt, noch wollen Engel unbedingt als Frauen durchgehen, zwei Themen des Transvestitenfilms, die auch „To Wong Foo“ aufgreift. Als Frau durchzugehen heißt wohl als erstes, die heterosexuellen Männer in ihrem Abgrenzungswahn – „Frau“, „Mann“, „Transe“, „Tunte“ – leerlaufen zu lassen. Aber das ist riskant. „Femmes Realness Queen“ ist ein Titel, der auf den Bällen der New Yorker Drag Queens verliehen wird, die Jennie Livingston für ihren Film „Paris is Burning“ interviewte. „Femmes Realness Queens“ sind solche Cross-Dresser, „die ihre Kleider noch anhaben, wenn sie nach Hause kommen, und keine Wunden und Blutspuren am Körper zeigen“. Soweit die Dokumentation.

Die Filmkomödie spielt das Gewaltproblem an der Figur des Sheriff Dollard und an dem prügelnden Jimmy Joe durch. Der Dumpfbeutel von Sheriff glaubte für einen Moment zu sehr an Vidas Frausein: Zu schön, um wahr zu sein. Gewaltsam zu Boden befördert, durchkämmt er anschließend in rachsüchtiger Absicht alle Etablissements, in denen seiner Kenntnis nach nur Homos verkehren. Buchläden natürlich, Brunch-Lokale und Kantinen fürs Flugpersonal. Und dann treten ihm und Jimmy Joe auf der Hauptstraße des unbescholtenen Snyderville endlich die von ihren Drag-Freundinnen neu ausstaffierten Provinzlerinnen entgegen! In hippiesken, psychedelisch abgedrehten 60er-Jahre-Op- art-Klamotten (die Marlene Stewart, die ehemals für Madonna arbeitete, als dramaturgisch intelligent agierende Kostümbildnerin ausweisen)! Jetzt gehen die Hausfrauen als Drag Queens durch und schützen Wesley Snipes, der wie Katja Epstein aussieht, Patrick Swayze und John Leguizamo vor den unterscheidungswütigen Männern.

Und wenn man sie deswegen nicht gleich als Engel betrachten muß, sondern sich an Gaststar RuPaul erinnert, der sich – nomen est omen – Rachel Tensions (!) nennt, dann wird klarer, daß auch „To Wong Foo“ die Botschaft letztlich aller Transenfilme pflegt: Das wirkliche Alter ego der Drag Queen ist der Künstler und die Künstlerin, die ihren Namen und ihre Identität eigenständig erfinden und verteidigen.

„To Wong Foo, Thanks for Everything! Julie Newmar“. Regie: Beeban Kidron. Mit Patrick Swayze, Wesley Snipes, John Leguizamo u.a. USA 1995

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