: Eitelkeit und Ehrlichkeit
■ Politische Erinnerungen des peruanischen Autors Mario Vargas Llosa
Vor fast zehn Jahren, in seinem Roman „Maytas Geschichte“, hat uns Mario Vargas Llosa offenbart: Seine Geschichten dienten nicht dem Zweck, darzustellen, was geschehen ist, „sondern dem Zweck zu lügen, aber in Kenntnis der Dinge, über die ich log“. Ob das auch für die gerade erschienenen Erinnerungen gilt, ist eine knifflige Frage.
„Der Fisch im Wasser“ breitet uns auf den Tag genau den Teil des Lebens von Mario Vargas Llosa aus, in dem dieser kein Schriftsteller war. Seine Kindheit und Jugend bis zu dem Tag, an dem er, 1958, aus Peru nach Paris übersiedelt, um „endlich ein richtiger Schriftsteller“ zu werden. Und – parallel dazu – jene drei Jahre von 1987 bis zum Juni 1990, in denen Vargas Llosa als Präsidentschaftskandidat des „Movimiento Libertad“ sowie des um zwei weitere Parteien erweiterten Rechtsbündnisses „Demokratische Front“ durch Peru tourte. Die Wahl verlor Vargas Llosa im zweiten Durchgang klar mit 34 Prozent gegen die 57 Prozent des kurz vor der Wahl praktisch „aus dem Nichts“ aufgetauchten Agraringenieurs Alberto Fujimori von der Bewegung Cambio 90.
Kaum ein Mensch ist heute in Peru so unbeliebt wie Mario Vargas Llosa, kaum einer so beliebt wie Fujimori. Die spanische Originalausgabe von „Der Fisch im Wasser“ erschien 1993, ein Jahr nach Fujimoris „Verfassungsputsch“, den Vargas Llosa vom Ausland her vehement kritisierte, wobei er so weit ging, zum Boykott seines eigenen Landes aufzurufen. In einem Nachsatz des Buchs, der auf diese Ereignisse eingeht, beklagt er „jene aggressive Form von Kulturlosigkeit ... wie sie in der sogenannten cultura chicha (Kultur des Geschwätzes, d. Red.) zum Ausdruck kommt, die den Ideen und der Moral mit Verachtung begegnet und sie durch die Geschmacklosigkeit, die Plattheit, die Hochstapelei, den Zynismus und den Jargon und das Kauderwelsch ersetzt, welche ... offenbar die vom ,neuen Peru‘ am meisten geschätzten Attribute sind ...“
Ist dieses Buch die mit heißer Feder geschriebene Abrechnung eines verschmähten Dichter-Präsidenten mit seinem Land? Das auch – es wäre schließlich ein Wunder, wenn ein professioneller Schreiber nach drei Jahren erfolgloser Arbeit in der „lästigen (aber unvermeidlichen) Politik“ nicht ein geharnischt Wörtlein zu Papier gebracht hätte. Daß Vargas Llosa dieses mit einer Autobiographie seiner frühen Jahre, als er zum Manne (und Intellektuellen) reifte, zusammenstrickt, ist ein politisch-literarischer Kunstgriff, der uns zwar eben jenes Schriftstellerleben (außerhalb Perus) erspart, andererseits aber eine Kontinuität vom jungen zum „gereiften“ Vargas Llosa suggeriert, die es so sicher nicht gegeben hat. Da klafft ein Loch von dreißig Jahren.
In den ungeraden Kapiteln des Buchs erleben wir den begabten Schüler, Studenten und Bohèmien bei der Entwicklung seiner Persönlichkeit zum Schriftsteller – keineswegs zum Präsidenten. Wir erfahren von seinen Begegnungen mit der Crème der peruanischen Politik, Literatur und Wissenschaft der fünfziger Jahre, wir werden Zeugen seiner Diskussionen mit Freunden, seiner Auseinandersetzungen in der Familie, seiner Affären, seiner vielen Jobs. Wir lernen seine Lektüre kennen, seine (durchaus linken) politischen Neigungen und vor allem seinen brennenden Drang, Schriftsteller zu werden: „Das tapfere Sartrelein“.
Und dann, in den geraden Kapiteln, ist da plötzlich der weltbekannte, kosmopolitische, durch und durch bürgerlich-liberale Erfolgsschriftsteller, der sich – nachdem er eine erfolgreiche Kampagne gegen die Verstaatlichung der Banken durch den Präsidenten Alan Garcia initiiert hat – entschließt, in sein Heimatland zurückzukehren, um Präsident zu werden und jene „liberalen Reformen durchzuführen, die ich seit Beginn der siebziger Jahre ... als notwendig für die Rettung Perus propagiert habe.“ Der aber gleichzeitig ehrlich genug ist, zuzugeben, „daß in der dunklen Tiefe, in der unsere Haltungen ihren Urspung haben, nicht so sehr irgendein Altruismus als vielmehr die Lockung des Abenteuers den Impuls darstellte, der mich in die Politik trieb.“
Es ist diese merkwürdige Art eitler Ehrlichkeit, die das ganze Buch durchzieht. Da sieht man einen, der es doch wirklich gut meint mit allen – auch den Armen – und nun halb froh, halb verbittert über sein Scheitern räsoniert. Vargas Llosa weiß am Ende, daß er die „anderen zwei Drittel“ nicht erreichen konnte, daß für die armen Peruaner in seiner Bewegung „das alte, elitäre und arrogante Peru der Weißen und Reichen hervortrat“. Das Amüsante – und Ehrliche – des Buches besteht darin, daß er genau dieses Peru literarisch-genüßlich anhand der Geschichte der Person Vargas Llosa nachzeichnet. Kein Zweifel, der Mann duftet einfach besser als alle anderen Peruaner. Er weiß es und genießt es, vor allem jetzt, da er der „Kulturlosigkeit“ wieder entflohen ist.
Immerhin nimmt er aus dem politisch-moralischen Sumpf, in den er sich da so abenteuerlustig gestürzt hat, einige Erkenntnisse mit. Schuld an seiner Niederlage – überhaupt am Niedergang Perus – sind nach Vargas Llosa vor allem jene „billigen Intellektuellen“ Perus, „die aus der Doppelmoral und dem ideologischen Schwindel einen modus vivendi gemacht hatten“ und die „die fast absolute Kontrolle über das gesamte kulturelle Leben in Peru“ besaßen. In einer manchmal an Thomas Bernhard erinnernden Litanei lamentiert der Dichterfürst über den „riesigen Misthaufen populistischen, sozialistischen und marxistischen Geschwätzes“, das „Ausmaß an moralischer Unlauterkeit“, die Inkompetenz, die Korruption, das Strebertum. Angewidert steht der Saubermann vor dem Kloakenjournalismus, entsetzt sich über den „schmutzigen Krieg“ seiner Gegner ebenso wie über die immer oben schwimmenden „Kaziken“ in den eigenen Reihen. Seine Verachtung ist grenzenlos, kaum einer entgeht ihr. Es hat zu dem Erfolg des Buches wie zur Ablehnung des Autors in Peru nicht unwesentlich beigetragen, daß „Der Fisch im Wasser“ auch eine Art Mistkübel-Gotha der zeitgenössischen Politiker- und Intellektuellengeneration Perus darstellt.
„Der Fisch im Wasser“ ist – halb gewollt, halb unbewußt – der Abgesang auf eine politische und intellektuelle Klasse geworden. Denn egal ob wohl- oder übelriechend, ob Schöngeist wie Vargas Llosa oder „Schwindler“ wie jene, die er so geißelt, politisch versagt haben sie allesamt – und das schon seit langem. Vielleicht haben die Peruaner sich deshalb so deutlich für den chinito Fujimori entschieden, der mit den alten Mächten und Strukturen am wenigsten gemein hatte. Ob es hilft, wird sich zeigen. Immerhin herrscht in Peru heute – fünfeinhalb Jahre nach Vargas Llosas Abgang – eine Stimmung der Hoffnung, wie es sie seit langem nicht mehr gab. Das ist keine Garantie für Demokratie. Damit die funktioniert, bedarf es wohl auch jener „moralischen Reserve“ von nichtkorrumpierbaren Intellektuellen, die es, glaubt man Vargas Llosa, im Peru von heute nicht gibt. Möglich allerdings, daß der Schriftsteller dem gleichnamigen gescheiterten Präsidentschaftskandidaten mit diesem Diktum nur eine seiner Zwecklügen ausgeliehen hat. Thomas Pampuch
Mario Vargas Llosa: „Der Fisch im Wasser“. Aus dem Spanischen von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag. 676 Seiten, geb., 48 DM
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