: Der „Dicke“ drückte Vietnamesin zu Boden
■ Zwei Polizisten stehen wegen Mißhandlung von Zigarettenhändlern vor Gericht
Ebenso wie in Franfurt (Oder) stehen seit gestern in Berlin Polizisten wegen Mißhandlungen von vietnamesischen Zigarettenhändlern vor Gericht. Angeklagt vor dem Moabiter Amtsgericht sind zwei 27 und 23 Jahre alte Polizeibeamte. Dem älteren, den Augenzeugen in Gedächtnisprotokollen wegen seines Äußeren kurz den „Dicken“ nennen, wirft die Staatsanwaltschaft gleich vier Taten vor. Nachdem ein Fall groß durch die Presse gegangen war, hatten immer mehr Vietnamesen ihr Schweigen gebrochen und von Polizeiübergriffen berichtet.
Am 3. Juni 1994 waren der Beamte Andreas L. und sein älterer Kollege Robert M. in Pankow als Zivilstreife gegen illegale Zigarettenhändler unterwegs. In der Westerlandstraße versuchten sie, den Vietnamesen Minh Tuan N. zu überprüfen. Normalerweise sind Polizeiübergriffe kaum nachzuweisen, weil es keine neutralen Tatzeugen gibt. Doch an diesem Tag waren mehrere Anwohner durch lautes Schreien in ihrem Hinterhof in der Westerlandstraße aus dem Mittagschlaf gerissen worden.
Vom Fenster sahen sie, wie ein dicker Mann auf dem schmächtigen Asiaten Minh Tuan N. saß und auf diesen etwa zehn Minuten lang einprügelte und trat. Ein Freund des Dicken drückte im Hauseingang eine Vietnamesin zu Boden. Die Anwohner glauben erst, sie hätten Neonazis vor sich und riefen die Polizei. Unterdessen lief ein Mieter in den Hof, um dem Asiaten zu helfen.
Laut Anklageschrift soll der „Dicke“ Minh Tuan N. nicht nur im Hof und Hauseingang mißhandelt haben, sondern auch auf der Fahrt zum Polizeiabschnitt und dort in einem Dienstzimmer.
Die Angeklagten bestritten gestern die Taten. Robert M., der sogenannte „Dicke“, erklärte, er habe nur ganz normalen polizeilichen Zwang angewendet, weil sich der Vietnamese gegen die Festnahme gewehrt habe. Dann wurde diejenige Mieterin als Zeugin gehört, die damals am meisten gesehen hatte. Allerdings konnte sie sich gestern an die Reihenfolge des Geschehensablaufes kaum noch erinnern und verwies deshalb auf ihre früheren Aussagen.
Der Prozeß wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt. Daß die vietnamesischen Zeugen vor Gericht erscheinen werden, hielt ihr Rechtsanwalt Martin Rubbert gestern jedoch für sehr fraglich, weil viele aufgrund der drohenden Zwangsrückführung nach Vietnam untergetaucht seien. Bislang gingen in Berlin zwei Verfahren gegen Polizeibeamte wegen Mißhandlung von vietnameischen Zigarettenhändlern mit einer Verurteilung zu Ende, die aber noch nichts rechtskräftig ist. Diverse Ermittlungsverfahren sind noch offen. Plutonia Plarre
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