Schwimmbad als Kirche

■ Premiere in Bremerhaven: Edward Bonds pathetisches Lehrstück „Kriegsspiele“

Wenn ein schöner Raum ein schöner Raum ist und nichts als ein schöner Raum, dann ist er das Schauspiel und nicht die Bühne. Im suggestiven Ambiente des ehemaligen Bremerhavener Stadtbades hat jedes Spiel verloren, das diese riesige Kachelhalle mit seinem 10-Meter-Turm und den weitläufigen Zuschauergalerien nur als exotische Spielstätte nutzt, statt sie in ein fesselndes Spektakel einzubeziehen. In der Inszenierung von Edward Bonds „Kriegsspielen“ übernimmt das Stadtbad unfreiwillig die Hauptrolle, allerdings bloß architektonisch.

Das Publikum gelangt über die Bühnentreppe auf den Boden des Schwimmnbeckens, wo es sich auf 240 Stühle quetscht, um im folgenden brav nach oben zu gucken. Die DarstellerInnen agieren vor allem am Rand des höhergelegenen Nichtschwimmer-Bereichs, den sie gelegentlich verlassen, um ums Becken zu laufen und die Galerie oder die drei Plattformen des Sprungturms hoch über den Köpfen des Publikums zu erklettern.

Edward Bonds „Kriegsspiele“ sind ein an Brecht geschultes Lehrstück gegen den Krieg, ein sperriger und hölzerner Text aus den bewegten 80er Jahren, in dem der Weltuntergang auf allen Bühnen zelebriert wurde. Schwergewichtige predigthafte Sentenzen wechseln mit kurzen gleichnishaften Spielszenen. Es geht um die Zeit nach einem Atomschlag. Zwischen Berichten über die unmittelbaren Folgen stehen Episoden, in denen ein Kind zum Mann heranwächst. Jede Szene eine Lektion, von der Schulzeit bis zur Ehe. Bond zeigt, daß im kleinsten privaten Alltag der Stoff begraben liegt, der sich zur Bombe menschheitsvernichtend bündelt. „So liegen die Bomben zwischen den Krümeln auf unserem Küchentisch“, läßt er eine seiner Figuren verkünden. Die sind nicht aus Fleisch und Blut, sie sind vor allem Träger pathetisch vorgetragener Gedanken. Die eingespielten elementaren Situationen – lernen, lieben, essen, Arbeit – berühren wenig – da hilft auch der schöne Raum nicht weiter.

Der Hamburger Autor und Gastregisseur Thomas Matschoß, der schon mehrfach im kleinen Haus des Stadttheaters eine unverwechselbar eigene Handschrift gezeigt hat, will diesem Dilemma durch ironische Brechungen begegnen. Aber die kleinen Ausbrüche („wir spielen hier Theater“) und durchaus komischen Verfremdungen können Bonds permanent dozierendes Stück nicht retten. Der Prediger macht das Schwimmbad zur Kirche und den Sprungturm zur Kanzel.

Daß Theater mehr ist als ein pathetisches Plädoyer zur Rettung der Menschheit, wird erst in der letzten Episode spürbar, wenn ein Soldat (Wolfram Rupperti) nach Hause zurückkehrt und den Eltern mitteilt, daß er einen Zivilisten erschießen müsse, irgendeinen. Die Mutter (Christel Leuner) rät pragmatisch zum kranken alten Nachbarn (Reinhard Krökel), der Sohn erschießt aber den Vater (Kay Krause). Ein gelungenes Bild: Kay Krause nimmt einen Plastikbecher vom Beckenrand und schüttet langsam rot gefärbtes Wasser über sich aus. Da erscheinen plötzlich zwei plappernde Kinder. Sie laufen zwischen den leeren Reihen entlang, sie wollen zum Vater, der unten noch Theater spielt. Hier wird für Momente sichtbar, was in und mit diesem wunderbaren Raum geschaffen werden könnte, wozu jedoch Bonds gut gemeinte „Kriegsspiele“ nichts taugen.

Hans Happel

Nächste Aufführungen: 23.1. (20 Uhr), 27.1. (19.30 Uhr), Stadttheater Bremerhaven im Stadtbad.