piwik no script img

Der leichte Schwips am Nachmittag

Wie man die „Süßlichkeitspopularistik“ bekämpft: Götz Adriani zeigt Auguste Renoir in Tübingen  ■ Von Christian Gampert

Man muß Renoir nicht mögen. Auch der Tübinger Kunsthallenleiter Götz Adriani mochte ihn eigentlich nicht, wie er im Vorwort zum Katalog bekennt. Gerade deshalb aber habe ihn der Versuch gereizt, aus den rund 6.000 Arbeiten (Renoir mußte eine Familie ernähren) solche auszuwählen, die den Impressionisten als Wegbahner der Moderne ausweisen und dem Klischee der Renoirschen „Süßlichkeitspopularistik“ widersprechen. Das Verfahren ist anfechtbar.

Es ist so, als würde man aus den Gedichten der Ulla Hahn die fünf gelungenen aussuchen. Gut, bei Renoir sind es doch diverse Bilder mehr. Trotzdem hängen in der Tübinger Kunsthalle genügend Arbeiten, die auch als Kalenderblätter tauglich wären.

Es mag für Adriani auch anderes eine Rolle gespielt haben: Noch nie gab es eine große Renoir-Retrospektive in Deutschland. Hier sind Ehre und Geld zu ernten. Der Kunsthallendirektor hat also mit 104 Gemälden eine Ausstellung zusammengestellt, die die großen Linien sichtbar macht: Renoirs Herkunft aus den (galanten) Traditionen des Barock und Rokoko (das heißt Boucher und Fragonard); seine Hinwendung zur hingetupften Freiluft-Malerei, sein Versuch einer neuen Festigkeit der Formen und schließlich sein Versacken in einem heiter-arkadischen Spätwerk.

Von heute aus kann man nur schwer die Provokation nachvollziehen, die der Impressionismus für das Publikum des zweiten Kaiserreichs gewesen sein muß. Da gab sich niemand die Mühe, eine Linie, eine Kontur zu formen – das Bild wurde nur aus der Farbe herausgearbeitet, ein dynamisches Fließen, Werden und Vergehen, Farbklänge und Lichtbrechungen. Was 1869 mit Monets und Renoirs Darstellungen des Seine-Strandlokals „La Grenouillière“ begann, ist uns jetzt ein Blick in eine verlorene Zeit, eine verlorene Gelassenheit: Sonntagsmalerei im besten Sinne, Ausflügler im Grünen, Badende, Trinkende, Tanzende, Liebende, naiv sich Hingebende; der in einer Parklandschaft versinkende Mensch ist ebenso wie der Baum oder das Ruderboot nur Partikel in einem seltsamen, der Momentempfindung gewidmeten Farbenspiel.

Als Hintergrund muß man sich immer das von Baron Haussmann zur Planquadrat-Metropole modernisierte Paris vorstellen: Der Impressionismus spielt sich in den Vororten ab, er zeigt die Fluchtbewegung, das Wochenendvergnügen, die Idylle. Es ist bei Renoir nie der wahre Augenblick, es ist der angenehme Augenblick, der festgehalten wird; dieses seltene Gefühl, daß es gut ist, wie es ist. Wie ein Glas Wein am Nachmittag, der leichte Schwips.

Auch diese Art von Passivität soll ja erkenntnisfördernd sein. Es ist jedenfalls beruhigend zu sehen, wie der wahrlich ideologiefreie Renoir sich aus schrecklichen Blumenbildern und angepaßten Portraits herausarbeitet ins Freie, in flirrende Felder und Waldwege, in die Uferwiesen der Seine und die Gärten von Argenteuil; wie die immerhin noch als Gesellschaftswesen verkleideten Menschlein eintauchen in nachmittägliche Farbreflexionen von Wasser und Bäumen.

Im Spätwerk wird sich das ändern. Da gibt es dann hübsch lächelnde fette Nackte, die sich in Arkadien wähnen. Aber ein Bild wie „Der Tanz im Moulin de la Galette“ (1876), von dem in Tübingen leider nur eine Skizze zu sehen ist, übersetzt die perlende Leichtigkeit eines freien Wochenendes in laue Lichtspiegelungen. Das Volk, das sich dort amüsiert, hat nichts Dumpfes, es schwebt (und scheint Lichtjahre entfernt von Krieg und Pariser Commune). Und all die Blumenpflücker und Ruhenden dieser Periode, die Schnitter und Ruderer (genial die Farbrhythmisierung von „Au bord de l'eau“) sind Teil eines ästhetischen Programms, das Natur und Gesellschaft ein letztes Mal zu versöhnen sucht.

Der aus kleinen Verhältnissen stammende Renoir hat als Porzellanmaler angefangen; auch das spätere Personal seiner Bilder kommt aus den niederen Schichten: Hausmädchen, Schneiderinnen, Blumenhändlerinnen, Grisetten. Stets ist es dieselbe etwas platte, frivole Hübschheit, die Renoir favorisiert. Sein Händler Ambroise Vollard meinte sogar, Renoir habe die Pariserin erfunden – jedenfalls ein bestimmtes mandeläugiges Klischee von ihr. Diese Prototypen sind in Tübingen schön dokumentiert – in der Kneipe und bei der Modistin. Aber dem Weichzeichner Renoir fehlt der gnadenlose Blick eines Degas, der ähnliche Randfiguren der Gesellschaft in ihrer Tristesse zeigte; Renoir variiert nur einen zeitbedingten Typus.

Später, als er Portrait-Aufträge aus besseren Kreisen bekam, verkleidet er die Kinder und Ehefrauen als adrette Püppchen; die malerischen Formen sind da (um 1880) präziser und verbindlicher, aber die Stimmung der Bilder wird seltsam fad und neutral. Lesende Bürgermädchen, pausbäckige Mütter; glücklicherweise gibt es in der Tübinger Ausstellung dann noch eine Reihe von Landschaftsbildern, aufgewühlte Seestücke und normannische Küstenabschnitte, kühle Hohlwege oder eine durch mehrschichtigen Farbauftrag wie zugewachsen wirkende, auf einen Orkus abzielende „südfranzösische Landschaft“ (1891).

Dorthin zog sich der im Alter stark rheumakranke Renoir zurück, malte unter Schmerzen und mit gichtigen Fingern bisweilen wilde, zu van Gogh hinstrebende Gärten und Bäume, dann wieder milde Abendstimmungen, vor allem aber großformatige Akte. Mit sich räkelnden Rubens-Frauen („Ich liebe Bilder, die mich anregen, mit der Hand über einen Busen zu fahren.“) träumte sich der rheumatische Greis in eine Szenerie aus rosiger Fleischlichkeit, vielsagenden sprudelnden Quellen und moosigem Grün.

Kurioserweise haben gerade diese kitschig-selbsttherapeutischen Gegenwelten – laßt dicke Frauen um mich sein! – die Nachfolgekünstler inspiriert. Sogar Picasso adaptierte in seiner nachkubistischen Phase der frühen zwanziger Jahre die voluminösen Frauenleiber und blies sie quasi zylindrisch auf. Ein später Nachfahre dieser Dicklichkeits-Apotheose ist auch der kürzlich verstorbene Bildhauer Duane Hanson, der das allerdings kritisch wendet: Seine müden Mittelstandsbürger („Tourists“, 1989) könnten auch Teil jenes Publikums sein, das heute bewundernd zu Renoirs schweren Nymphen aufblickt.

Schreitet man die Ausstellung noch einmal ab, so entsteht trotz aller malerischen Finesse Renoirs doch ein böser Verdacht: daß Adriani das Vorurteil der Süßlichkeit nur durch ein etwas milder dosiertes Zuckerwasser korrigieren will. Die meisten Portraits wirken populär geschönt; die Landschaften sind bei aller Luftigkeit immer auch glatt im Vergleich mit den Farbwucherungen des Claude Monet (oder mit dessen anonymen Boulevards). Renoir bleibt einfach der Meister blauäugigen Wohlgefallens. Dies wirkt auch heute noch verblüffend optimistisch.

Kunsthalle Tübingen, bis 27. Mai; der Katalog kostet 39 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen