Tot? Das kann ja jeder sagen!

■ Die Jagd nach dem Totenschein im Dschungel der Bürokratie / Bestatter: „Herr S. liegt bei uns auf Eis“ – seit drei Wochen Von Silke Mertins

Die Wege des Herrn sind zuweilen verschlungen. Den einen nimmt er zu sich, und den anderen läßt er allein – mit einer Leiche im Keller. Manfred Gans, Geschäftsführer des ABM-Beschäftigungsvereins „Pack an“ zum Beispiel. Der hatte sich eigentlich nur Sorgen gemacht, als sein Mitarbeiter Herr S. über zwei Wochen unentschuldigt fehlte. Er stattete Herrn S. gleich am ersten Arbeitstag im neuen Jahr einen Besuch ab. „Das mit der Arbeit hat sich wohl erledigt“, teilt ihm die Polizei in dessen Wohnung mit. Herr S. sei nämlich tot.

Jetzt macht Manfred Gans sich erst recht Sorgen: Die Witwe ist körperbehindert, überfordert und verwirrt. Die Nachbarin verspricht, sich zu kümmern, so daß er, Herr Gans, der Arbeitgeber, veranlassen könnte, daß Sterbegeld an die Frau des Verblichenen ausgezahlt wird.

Doch: Wo ist der Tote und wo sein Totenschein? Denn ohne Schein kein Sterbegeld und damit kein Einkommen für die Witwe. Herr Gans recherchiert. Die diversen Polizeireviere wissen nichts über den Verbleib des Verblichenen. Er solle mal bei der Gerichtsmedizin fragen. Nein, bekommt er dort zu hören, ein Herr S. sei nicht bekannt. Der behandelnde Arzt will nichts sagen, auch nicht zum vermißten Totenschein – Schweigepflicht. Herr S. ist inzwischen zwei Wochen tot. Manfred Gans ruft beim LKA 212, Leichen und Vermißtenstelle, an. Die Auskunft: Herr S. ist tot. Die Witwe müßte den Totenschein haben. Herr Gans besucht die Witwe, die nicht mehr genau weiß, wann ihr Gatte das Zeitliche gesegnet hat und auch einen Totenschein nicht finden kann.

Noch ist Herr Gans in dem Glauben gefestigt, daß irgendjemand doch eigentlich für solche Notfälle zuständig sein müßte. Der Arzt will ihn nicht vorlassen. Immerhin gibt die Sprechstundenhilfe zu, daß er den Totenschein ausgestellt hat. Eine Kopie könne man nicht aushändigen, aber das Bestattungsinstitut habe eine. Der nette Bestatter teilt mit: „Herr S. liegt seit zwei Wochen auf Eis.“ Weil kein Bestattungsschein vom Sozialamt vorliegt. Das Amt will keinen ausstellen, weil der Totenschein nicht vorliegt. Er, der Bestatter, dürfe den Totenschein aber nicht herausgeben. Ob Herr Gans als Arbeitgeber sich wohl kümmern könnte?

Herr Gans kümmert sich. Er ruft die AOK an. Wie, Herr S. sei tot? Nein, man könne leider nicht weiterhelfen. Herr Gans versucht es beim Sozialamt. Dort will man einen Bestattungsschein gerne ausstellen, wenn der Totenschein vorliegt. Die Witwe müsse kommen, um ihre Vermögensverhältnisse darlegen. Das könne sie nicht, sagt Herr Gans. Achso, sagt die Sachbearbeiterin. Könne er als Arbeitgeber sich nicht ein wenig kümmern?

Nun ruft der Bestatter bei Herrn Gans an. Er brauche die Geburts- und Heiratsurkunde. Ob er als Arbeitgeber vielleicht helfen könne? Auch Frau K. vom Amt ruft an. Es würde ja Zeit, daß sich jemand um die Witwe und die Papiere kümmere. Schließlich kostet die Lagerung des Toten ja auch Geld. Und zwar den Steuerzahler. Drei Wochen sind vergangen. Die Leiche liegt noch immer im Keller – auf Eis und unbestattet.