piwik no script img

"Ein Spiegel der Stimmung"

■ Ein Jugendhaus als Brücke zwischen den Volksgruppen: Seit zwei Jahren arbeiten Berliner mit Kindern und Jugendlichen im geteilten Mostar in Bosnien-Herzegowina

Aus der Idee, einfach zu helfen, wurde „Mladi Most“, zu deutsch: junge Brücke. „Mladi Most“ ist ein Projekt von Berliner Freiwilligen in der geteilten Stadt Mostar in Bosnien-Herzegowina. Seit zwei Jahren betreiben sie ein Kinder- und Jugendhaus im Westteil der Stadt, in dem sich serbische, kroatische und muslimische Jugendliche in ihrer Freizeit treffen. Zur Zeit arbeiten in Mostar neun Freiwillige, darunter auch Jugendliche aus Mostar, den Niederlanden und Vereinigten Staaten.

„Mladi Most“ ist strukturell an „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ (ASF) gekoppelt. Sie vermittelt Freiwilligendienste in Länder, die vom Nationalsozialismus betroffen waren. Das Projekt lebt von einem Unterstützerkreis und von Spendengeldern. Auch Hans Koschnick, EU-Administrator in Mostar, ist dem Projekt sehr zugeneigt und stiftete den ihm verliehenen Preis für politische Kultur der Stadt Herdecke und ein Kopiergerät.

Matthias vom Hau arbeitet seit drei Monaten in Mostar. Der 22jährige war mit ASF anderthalb Jahre als Freiwilliger in Belgien und ist durch interne Kommunikation an das Projekt in Mostar gekommen. Mit einem Vorbereitungsseminar und einem Crash-Sprachkurs wurden er und die anderen Berliner Freiwilligen auf den Aufenthalt in Mostar vorbereitet. Ab April will Matthias Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität studieren.

taz: Wer kommt in das Haus?

Matthias: In das Haus kommen Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren. Da ist zum einen ein fester Kern, für die ist das Haus wie ein zweites Zuhause, und ein weiterer Kreis von ungefähr 20 Leuten, die regelmäßig kommen. Viele der Jugendlichen waren schon vor dem Krieg befreundet und können sich hier abseits jeder ethnischen Kategorisierung treffen. Es wird viel geredet, zusammen Musik gemacht. Wir haben sogar schon eine eigene Band. Außerdem geben wir die Zeitung Ogledalo Grada, Spiegel der Stadt, heraus. Für die Zeitung schreiben Jugendliche aus beiden Stadtteilen.

Welche Funktion erfüllt das Haus deiner Meinung nach?

Ich glaube, es ist vermessen zu sagen, wir würden die Versöhnung der beiden Stadthälften ankurbeln. Wir versuchen aber eine persönliche Ebene zu schaffen, so daß sich die Menschen in Mostar wieder vorbehaltlos begegnen.

Was herrscht für eine Stimmung im Haus?

Die Stimmung ist eigentlich immer ein Spiegel der Atmosphäre in der Stadt. Allgemein ist es im Haus ausgelassen und fröhlich. Für einen Fremden scheint es zunächst einen Gegenpol zum zerstörten Mostar darzustellen.

Das hört sich an, als würde ein „aber“ folgen.

Ja. Ab und an brechen dann doch die traumatischen Erlebnisse von vier Jahren Krieg durch. Sonst wird wenig über den Krieg gesprochen. Aber dann kommt es plötzlich hoch, und die ausgelassene Stimmung schlägt innerhalb von Minuten in absolute Depression um. Meistens retten sich die Jugendlichen mit einem Witz oder irgendeiner alltäglichen Bemerkung dann wieder aus der Bedrückung heraus.

Wie wird das Haus von der übrigen Bevölkerung aufgenommen?

In der direkten Nachbarschaft haben wir gute Kontakte. In den nationalistischen Kreisen von West-Mostar, die eine kroatisch gesäuberte Hauptstadt von Herzeg-Bosna wollen, stoßen wir nicht unbedingt auf Gegenliebe. Oft verbreiten diese Kreise Gerüchte über uns, um die Jugendlichen zu beeinflussen, nicht in das Haus zu kommen.

Hat sich durch die Zeit in Mostar deine Einstellung zum Krieg verändert?

Krieg ist für mich nicht mehr das, was ich in den Zeitungen lese oder was ich in Deutschland vom Krieg in Bosnien mitbekommen habe. Das sind auf Papier gedruckte Fakten oder Beschreibungen von westlichen Journalisten, die das durch ihre Brille gefärbt sehen. Oder das sind Bildfetzen, die mir durchs Fernsehen in mein Wohnzimmer flimmern. Aber das drückt nur sehr entfernt aus, was Krieg für die Leute in Mostar bedeutet. Der Krieg in Mostar ist unsichtbar. Da mögen Nachrichten von irgendwelchen Friedensabkommen bei uns ankommen – der unsichtbare Krieg herrscht weiter.

Wie sieht dieser unsichtbare Krieg für die Jugendlichen aus?

Das fängt damit an, daß sie aufpassen müssen, was sie sagen. Sie fühlen sich einfach nicht sicher. Sosehr sie es auch wollen, die Kids können nicht mehr vertrauen und reagieren auf alle Angebote mit Mißtrauen. Und dann ist da natürlich auch noch die Teilung der Stadt: Ich habe mit Jugendlichen zu tun, die die andere Stadthälfte seit drei Jahren nicht mehr gesehen haben. Sie fragen mich dann, wie es im anderen Stadtteil aussieht, ob das eine oder andere Haus noch steht. Und dabei ist das dann gerade mal 300 Meter entfernt.

Wie schätzen die Jugendlichen die Situation in Mostar ein?

Sie hoffen natürlich, daß es zu einem dauerhaften Frieden kommt. Aber sie haben zuviel mitgemacht, um das optimistisch zu sehen. Viele sehen ihre eigene persönliche Zukunft sehr pessimistisch. Der Krieg hat ihre Perspektiven zerstört. Das Interview führte Silke Stuck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen