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Ein Sündenbock Bill Clintons?

■ Kolumbiens Präsident Ernesto Samper steht vor dem Rücktritt – USA und Opposition fordern seinen Kopf

Bogotá (taz) – Kolumbiens Präsident Ernesto Samper steht mit dem Rücken zur Wand: Seit sein ehemaliger Wahlkampfleiter Fernando Botero in der vergangenen Woche zu Protokoll gab, Samper habe sehr wohl davon gewußt, daß sein Wahlkampf mit einer Millionenspende des Drogenkartells von Cali finanziert wurde, scheinen die Tage des Präsidenten gezählt. Wenn Samper aber stürzt, dann nicht durch einen Volksaufstand, sondern weil er von der politischen Klasse Kolumbiens und von den USA isoliert wird.

Der konservative Oppositionsführer Andrés Pastrana, der sich durch die skandalöse Spende um den Sieg bei den Wahlen von 1994 betrogen fühlt, forderte den Kopf des Präsidenten, und die konservativen Minister zogen sich aus dem Kabinett zurück. Ein hochdekorierter General reichte seine Demission ein, weil er diesem Präsidenten nicht mehr dienen wolle, jeden Tag erklären mehr Botschafter ihren Rücktritt, und eine Gruppe pensionierter Militärs ging so weit, die Einsetzung einer militärisch-zivilen Junta zu fordern –, und vorgestern trat, nach einer Reihe von Morddrohungen, auch Sampers Anwalt zurück.

Samper bestreitet beharrlich, von den Drogengeldern gewußt zu haben. Es nutzt nichts, die Rücktrittsforderungen werden jeden Tag lauter. Der angeschlagene Präsident sucht jetzt Verbündete: Ohne sich mit dem Finanzminister abzusprechen, bot Samper der Armeeführung an, den Verteidigungshaushalt aufzustocken. Ein heimlich aufgenommener Mitschnitt des Treffens wurde einem oppositionellen TV-Kanal zugespielt. Samper stellt sich darin als Opfer einer Verschwörung dar: „Da glaubt man, ein Penthouse zu regieren und findet sich im Keller, umzingelt von Banditen und Guerilleros ...“

Daß die Krise tatsächlich seit Monaten von interessierten Gruppen geschürt wird, ist offensichtlich. Sowohl die Konservativen als auch die sogenannten Gaviristen, die Anhänger des Expräsidenten Cesar Gaviria in der Liberalen Partei, wollen möglichst bald die Macht übernehmen. Beide stehen für strikten Neoliberalismus im Gegensatz zu dem Programm gebremster Öffnung, das von Samper betrieben wird. Ihr wichtigster Verbündeter ist der ehrgeizige Generalstaatsanwalt Alfonso Valdivieso. Er war es, der dem geständigen Botero grünes Licht gab, ausgewählte Journalisten in seinem Luxusgefängnis in der Kavallerieschule zu empfangen, um die Anschuldigungen gegen Samper in alle Welt zu posaunen.

Für gestern war im Parlament in Bogotá der Beginn einer außerordentlichen Debatte anberaumt, in der die neuen Beweise gegen den Staatschef geprüft werden sollen. Laut Verfassung ist allein der Kongreß befugt, über die strafrechtliche Verantwortung der Präsidenten zu befinden.

Aber selbst wenn es Samper gelingen sollte, vom Kongreß reingewaschen oder in einem Plebiszit bestätigt zu werden, würde er schwerlich die fehlenden zweieinhalb Jahre seiner Präsidentschaft durchhalten. Angesichts steigender Inflation, stagnierender Investitionen und drohender Kapitalflucht hat sich die Unternehmerschaft von ihm abgewandt. Und obwohl unter Sampers Regentschaft fast die gesamte Spitze des Cali-Kartells hinter Schloß und Riegel gebracht und bei der Ausrottung der Koka- und Opiumkulturen neue Rekordmarken gesetzt wurden, machen die USA Sampers Sturz zur Voraussetzung für die am 1. März fällige Zertifikation, daß Kolumbien bei der Drogenbekämpfung ausreichend kooperiert. Für die patriotischen Kommentatoren der kolumbianischen Presse ist klar: Bill Clinton, der aus innenpolitischen Gründen im Wahljahr besonders energisch in der Drogenpolitik wirken muß, braucht einen Sündenbock. Ralf Leonhard

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