: Verursacher sind wir alle
■ betr.: „Schlammschlacht im Klär werk“ (Öko-Markt Berlin), taz vom 20./21.1. 96
Erhebliche Schwierigkeiten habe ich mit den zitierten Äußerungen von Jacqueline Jancke über die Betrachtungsweise des ökologischen Landbaus zum Klärschlamm: „Im Ökolandbau geht ja nichts verloren“ und „Unser Verständnis von ökologischer Landwirtschaft schließt die Anwendung von Klärschlamm zur Düngung aus“.
Auch der ökologische Landbau muß sich dem grundlegenden Problem der Rückführung von Pflanzennährstoffen aus den Siedlungsbereichen in die Landschaften stellen: Alle Nahrungsmittel enthalten in nicht vernachlässigbaren Konzentrationen anorganische Stoffe (insbesondere Stickstoff, Phosphor und Kalium), die die Pflanzen aus den Böden entnommen haben. Mit dem Verkauf in die Städte werden diese Stoffe aus den Betrieben, aus den Landschaften exportiert und enden fast vollständig mit Abwasser und damit im Klärschlamm. Gegenwärtig gibt es allerdings keine flächenhaft einsetzbaren Konzepte, wie diese Stoffe im Sinne einer Kreislaufwirtschaft auch wieder zurückgeführt werden könnten. Somit ist auch der ökologische Landbau nicht verlustfrei! Alles andere ist Wunschdenken beziehungsweise nur in vollständig autarken Lebensgemeinschaften auf Bauernhöfen möglich. Da der Export von Pflanzennäherstoffen nun einmal erfolgt, benötigt auch der ökologische Landbau die Zufuhr von diesen Stoffen in gleicher Menge. Die EU-Richtlinie zum ökologischen Landbau erlaubt ja gerade deshalb auch den Einsatz von Phosphor- und Kalidüngern. Ausnahme ist tatsächlich der biologisch-dynamische Landbau, der derartige Düngungen allensfalls auf Gesteinsmehle beschränkt. Der Ersatz des im pflanzlichen und tierischen Eiweiß exportierten Stickstoff erfolgt in allen ökologisch arbeitenden Betrieben durch die biologische Bindung von Luftstickstoff mit Hilfe von Leguminosenpflanzen. Für Stickstoff ist eine Rückführung vom Verbraucher also nicht unbedingt erforderlich, aber im Sinne ökologischer Kreisläufe sicherlich zu bedenken.
Unser Verständnis für eine ökologisch funktionierende Landwirtschaft (für den ökologischen Landbau wie für den integrierten Landbau!) fordert also, daß sich alle Formen der Nahrungsmittelproduktion Gedanken machen, wie die mit Nahrungsmitteln in die Siedlungsbereiche gelangten anorganischen Substanzen (sowie organisch gebundener Kohlenstoff) wieder in die Landschaften zurückgeführt werden können. Hier sind alle Bewirtschaftungssysteme zur Erarbeitung von Lösungskonzepten aufgefordert. Durch Trennung der Stofflüsse der Nahrungsmittelverwertung von denen der übrigen Haushalts- und Wirtschaftsbereiche könnte zum Beispiel der Klärschlamm von Kontaminationen weitgehend freigehalten werden. Eine Verwertung wird dann auch für den ökologischen Landbau wieder diskutabel.
Finden wir nicht bald Konzepte für regional geschlossene (Nähr-)Stoffkreisläufe (auch im ökologischen Landbau), wird jede Suche einer „nachhaltigen Landnutzung“ ohnehin eine Illusion bleiben.
Ich habe volles Verständnis dafür, daß der ökologische Landbau äußerst zurückhaltend die Nutzung von Klärschlamm in Erwägung zieht, eigentlich ablehnt. Gleiche Einstellung finden Sie auch bei den meisten konventionell beziehungsweise integriert arbeitenden Landwirten. Die Unabwägbarkeiten der zukünftigen Kontamination von Böden und Lebensmitteln mit Stoffen aus den Klärschlämmen sind gegenwärtig zu unüberschaubar. Die Risiken werden noch als hoch eingeschätzt.
Leider bleibt im Artikel unklar, wie die bei der Verschwelung des Berliner Klärschlamms (in der Lausitz) entstehenden Restschlacken entsorgt werden. Diese enthalten eben alle jene Stoffe, die bei einer eigentlich anzustrebenden landwirtschaftlichen Nutzung von Klärschlamm doch die Probleme machen. Dies sind insbesondere die Schwermetalle. Lediglich die organischen Substanzen (u.a. auch Tensidrückstände aus den Haushalten etc.) werden durch die Verschwelung abgebaut. Dies könnte allerdings auch durch eine Kompostierung mit anderen organischen Materialien erfolgen.
Der Artikel beschreibt ansonsten sachgerecht und kompetent die schwierige Situation der Klärschlammentsorgung für große Kommunen. Es wird erkennbar, daß in dieser Sache von den Betroffenen (Klärschlammproduzenten und -verwertern sowie Natur- und Umweltschutz) noch erhebliche fachliche und konzeptionelle Weiterentwicklungen gefordert werden. Dies sollte allerdings von vornherein als Konsenzfindungsprozeß geschehen werden, keiner kann sich vor diesen Problemen drücken, wir sind alle Verursacher, direkt oder indirekt. Armin Werner, Leiter des Zentrums für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung (ZALF) e.V., Institut für Landnutzungssysteme und Landschaftsökologie, Müncheberg
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