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Teure Brennstäbe aus Lubmin

Greenpeace-Blockade vorm Atomgelände geräumt. Energiewerke Nord wollen Ungarn für den Polizeieinsatz zahlen lassen  ■ Aus Lubmin Hermann-Josef Tenhagen

Diese Runde haben die Atomarbeiter von Vorpommern gewonnen. Vor dem stillgelegten Atomkraftwerk Lubmin an der Ostsee hat die Polizei gestern auch die zweite Blockade von Greenpeace abgeräumt. Zwei Umweltaktivisten wurden vorübergehend festgenommen, das blockierende Auto wurde zur Seite geschoben. Gleich darauf schickten die Energiewerke Nord (EWN) „planmäßig“ zwei Container mit Atommüll auf die Reise – zum Endlager Morsleben in Sachsen-Anhalt.

Doch bei den Scharmützeln vor den Toren der größten deutschen Atomanlage ging es gar nicht um die Morsleben-Container. Greenpeace wußte gar nichts von dem geplanten Transport nach Sachsen-Anhalt. Stein des Anstoßes sind vielmehr drei andere Castor- Stahlbehälter, in denen 235 angebrannte atomare Brennelemente auf ihren neuen Eigentümer warten. Die EWN haben die angebrannten Brennstäbe im Auftrag der Bundesregierung nach Ungarn verkauft. Dort sollen sie im Atomkraftwerk Pacs, das dem von Lubmin gleicht, zur Stromerzeugung abgebrannt werden. Die Ungarn zahlen nur den symbolischen Preis von einer Mark pro Brennelement – und die Transportkosten. Ebendies könnte teurer werden als erwartet. Geht es nämlich nach der Geschäftsführung der EWN, sollen die Ungarn für den Ärger mit Greenpeace zahlen. „Die Ungarn bezahlen für den Polizeieinsatz hier, wenn uns die Polizei das in Rechnung stellen kann“, erklärte EWN-Geschäftsführer Dieter Rittscher schon am Mittwoch. Da hatten die Greenpeacler erst einmal für acht Stunden den einzigen Schieneneingang des riesigen Werks verschlossen.

Greenpeace argumentiert, das Atomkraftwerk Pacs, in dem die Brennelemente eingesetzt werden sollen, sei unsicher. Selbst die Internationale Atomenergiebehörde habe den Betreibern von Pacs eine „hochbedenkliche Sicherheitskultur“ bescheinigt, berichtet Heinz Laing von Greenpeace. Auch technisch sei das AKW in Ungarn „hundsmiserabel“. Schließlich seien die baugleichen Reaktoren von Greifswald-Lubmin 1990 wegen diverser Sicherheitsmängel stillgelegt worden. Laing hält den Verkauf der Brennstäbe nach Ungarn für besonders skandalös, weil die Ungarn nicht nur den risikoreichen Weiterbetrieb des AKW in Ungarn möglich machten, sondern auch noch in Kauf nähmen, daß deutsches Spaltmaterial schließlich in russischen Wiederaufbereitungsanlagen wie der von Tscheljabinsk landeten – mit den entsprechenden Risiken für Mensch und Umwelt.

Die Idee mit den Polizeikosten könnte die Greenpeacler zusätzlich anspornen. Die Ungarn setzten auf das Geschäft, weil die Brennelemente auch nach Begleichung der Transportkosten konkurrenzlos billig waren. „Zwischen 20 und 50 Millionen Mark“ haben die Ungarn nach Angaben von EWN-Geschäftsführer Rittscher gespart, weil sie die fast neuwertigen Brennstäbe von der Bundesregierung praktisch geschenkt bekommen. Doch die Polizeiüberwachung macht den Kostenvorteil schnell wieder zunichte. Die Bewachung des ersten Castor-Transports ins westdeutsche Gorleben hatte im vergangenen Jahr zig Millionen Mark gekostet. Proteste könnte es auch noch entlang der Route über Tschechien und die Slowakei nach Ungarn geben.

Abgeschreckt werden könnten auch andere Kunden. Die Brennstäbe für Ungarn sind nämlich garantiert nicht der letzte Konflikt dieser Art. Jetzt schon zeichnet sich ab, daß von Greifswald-Lubmin aus bald weitere Reaktor-Ersatzteile nach Ungarn, Rußland und in die Ukraine geliefert werden. „Die Ungarn wollen noch Pumpen haben, die werden sie bekommen“, bestätigte Rittscher. Auch aus der ehemaligen Sowjetunion habe es Anfragen nach großen Mengen an billigen Pumpen und Gerät gegeben. Den EWN- Leuten ist das Ausschlachten ihrer Reaktoren als Ersatzteillager recht. „Wenn die Betreiber von WWER-213 Reaktoren (solchen, wie sie in Lubmin gebaut wurden) weitere Ersatzteile haben wollen, stellen wir die gern zur Verfügung.“

Nicht unerwähnt bleiben sollen die eigennützigen Motive der bundeseigenen EWN bei ihrem schwunghaften Ersatzteilhandel. Selbst wenn die EWN praktisch nichts für Brennelemente oder Pumpen bekommen, sie sind das Entsorgungsproblem los. Die Entsorgung der 235 angebrannten Brennelemente, die nach Ungarn gehen sollen, würde nach bundesdeutschen Standards eine hübsche Stange Geld kosten: 30 Millionen Mark.

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