piwik no script img

Im Spagat der Systeme

Die „Mekong-6“ auf dem Weltwirtschaftsforum: Fünf Staaten und eine chinesische Provinz wollen ihren Aufschwung selbst organisieren  ■ Aus Davos Dietmar Bartz

Supachai Panitchpakdi, Wirtschaftspolitiker aus Thailand, kam ins Schwärmen: „In einigen Jahren werden wir auf einer durchgehenden Straße von Singapur nach Kunming in China fahren.“ Panitchpakdi war zum Weltwirtschaftsforum nach Davos gereist, um vor den Führungseliten der Welt für einen Wirtschaftsraum zu werben, der heute noch zu den ärmsten Regionen Südostasiens gehört. Doch der Aufbau hat begonnen. Ein Straßenstück durch Laos ist bereits im Bau – in Indochina entsteht die internationale Nord-Süd-Magistrale der Region. Eine Ost-West- Verbindung ist bereits beschlossen – von Nordthailand durch Laos ins vietnamesische Danang. Eine neue Brücke stellt die Verbindung mit Birma her, und von den südvietnamesischen Öl- und Gasfeldern ist eine Pipeline durch Kambodscha projektiert.

Ein noch ganz junges Konzept weist bereits erste Ergebnisse auf. Regierungsvertreter von vier der daran beteiligten Länder haben sich in Davos gemeinsam vorgestellt. Etwa 200 Industrielle, vor allem aus Indien, Pakistan und Bangladesch, hörten mit Interesse zu.

Als südostasiatische Ökonomen vor zwei Jahren die Idee aufbrachten, die Wirtschaftsräume im weiteren Mekong-Einflußgebiet zu verbinden, war die Skepsis noch groß. Die „Mekong-6“ – Vietnam, Kambodscha, Thailand, Laos, Myanmar (Birma) und die südchinesische Provinz Yünnan – scheinen kaum etwas gemeinsam zu haben. Die Regierungsformen reichen von der sozialistischen Volksrepublik bis zum Königreich, von der Militärdiktatur bis zur Demokratie. Die Einwohnerzahlen variieren ebenso stark wie die Einkommensverhältnisse; in Thailand wird siebenmal mehr verdient als in Kambodscha, und das siamesische Bruttosozialprodukt ist fünfzigmal so groß wie das laotische. In einigen Ländern spielt die Religion eine große, in anderen überhaupt keine Rolle. Und einige Länder sind von Kolonialismus, Krieg auch untereinander und vom Bürgerkrieg geprägt, andere sind davon verschont geblieben.

Wer hier wirtschaftliche Integration betreiben will, muß vor allem eines beherrschen: die Ignoranz – sonst flöge das Vorhaben sofort auseinander. „Wir sind keine politische Gruppe, die die gleiche Ideologie hat oder das gleiche politische System will“, beteuert Prinz Norodom Ranariddh, kambodschanischer Premierminister, deswegen. „Aber wir denken, daß einige Teile unserer Ökonomien miteinander verbunden werden sollten.“

225 Millionen Menschen und 150 Milliarden Dollar Wirtschaftsleistung innerhalb der Mekong-6 sind ein nicht unbeträchtlicher Markt. Die von vornherein niedrigen Erwartungen haben offenbar genügend politische Spielräume offengelassen, um in fünf Sektoren Projekte entwickeln zu können: In Transport und Tourismus, Telekommunikation und Berufsausbildung sowie dem ökonomischen Zwilling Handel und Investitionen.

Besonders spektakulär sind die Planungen im Verkehrssektor. Der Subkontinent, fast so groß wie die EU, hat ein gewaltiges Defizit an Eisenbahn- und Straßenverbindungen. Neben dem panasiatischen Ost-West-Highway wird eine neue Eisenbahnlinie von Kambodscha nach Vietnam geprüft, die alte Schienenverbindung von Thailand nach Kambodscha soll mit Hilfe privaten Kapitals wieder flottgemacht werden, und der Flughafen von Pnom Penh wird für den Tourismus erweitert. Für den Highway von Bangkok über Pnom Penh nach Ho Tschi Minh Stadt ist die Machbarkeitsstudie bereits positiv abgeschlossen, sagt der vietnamesische Projektminister Dau Ngoc Xuan. Und bald sollen Kombi-Urlaube in Tempelstädten möglich sein, die im Westen nur durch die amerikanischen Bombardierungen bekannt geworden sind: Luang-Prabang in Laos etwa oder Hue in Vietnam. Warum dann – hier gerät Prinz Ranariddh ins Schwärmen – kann nicht eine „Greater Mekong Airline“ Gestalt annehmen, nach dem Vorbild der skandinavischen SAS, oder eine „Handelskammer des Mekong-Beckens“?

Die Aufzählung zeigt ganz allgemein, wieviel Potential in Indochina brachliegt. Thailand, sowohl zu den Mekong-6 als auch zu der Boomgemeinschaft Asean gehörig, ist das große Vorbild für die anderen vier. In Vietnam ist die ständige Gefahr von Hunger und Armut bereits gebannt, in Myanmar, Laos und Kambodscha sind stabile wirtschaftspolitische Verhältnisse noch nicht in Sicht; Kambodscha, die verlängerte Werkbank Thailands, wird dennoch 1997 in die Asean-Gruppe aufgenommen, der Vietnam schon seit Mitte 1995 angehört. Schwierigster Partner der Mekong-6 bleibt Yünnan – es sind dann doch politische Gründe, die einer chinesischen Provinz die eigene Außenwirtschaft erschweren.

Während das Verkehrsnetz bislang keine größere internationale Aufmerksamkeit hervorgerufen hat, ist dies beim Mekong-Energienetz anders. Geplant ist eine Kette von Stauseen und Wasserkraftwerken den Mekong hinauf, die allesamt ohne viel Rücksicht auf die einzigartige Natur und die sensiblen agro-ökologischen Zusammenhänge geplant wurden. Umweltschützer bemühen sich nun, die schlimmsten Zerstörungen zu verhindern, aber sie haben gegen den Energiehunger und die diktatorischen Regierungen wenig Chancen.

Auch die Baumbestände der Region sind akut gefährdet. „Wir haben die weltgrößten Teak-Reserven“, lockt David Oliver Abel, der Planungsminister Myanmars. Aber von Thailand aus werden schon jetzt in großem Maßstab und unkontrolliert die südbirmesischen Wälder abgeholzt – der Abtransport geschieht auf Stichstraßen, die mit westlicher Entwicklungshilfe gebaut wurden. Aber die Asiatische Entwicklungsbank (ADB), die hauptsächlich aus Japan finanziert wird, ist bisher gegenüber „grünen“ Anliegen noch ignoranter als die Weltbank in den achtziger Jahren.

Für die Mekong-6 hat sich der Systemspagat bisher gelohnt. Unsicher ist aber, ob die politisch so unterschiedlichen Regierungen kooperativ bleiben oder die zunehmende Vernetzung auch als Druckmittel zu benutzen drohen. Beispielsweise liegt nach Spannungen an der birmesisch-thailändischen Grenze das Brückenbauprojekt derzeit brach. Wenn die alte kambodschanisch-vietnamesische Feindschaft wieder ausbricht, kann eine Regierung in Pnom Penh gleich mehrere Verkehrsadern durchschneiden – oder eine Intervention aus dem Osten riskieren.

Wegen solchen Unwägbarkeiten möchte Prinz Ranariddh deshalb jetzt doch eine gemeinsame Struktur schaffen, etwa eine lockere Ministerrunde neben einem ständigen Sekretariat. Die Minister, so die unausgesprochene Botschaft, können dann ihre Streitereien austragen, während die Sekretäre ihre Länder vernetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen