: Ostausweitung ohne Triumphgefühl
■ Im Streit um die geplante Osterweiterung der Nato bleiben die Positionen weiterhin verhärtet. Da hilft auch nicht, daß Kanzler Kohl die russischen Sicherheitsinteressen ausdrücklich berücksichtigt sehen will
München (dpa/AP/taz) – Die Nato will ihre Öffnung nach Osten in diesem Jahr trotz der Kritik Rußlands vorantreiben und gleichzeitig die Beziehungen zu Moskau vertiefen. Der amerikanische Verteidigungsminister William Perry kündigte gestern bei der 33. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik neue Verträge mit Rußland an, die über die bisherige „Partnerschaft für den Frieden“ hinausgehen.
Trotz des Widerstands aus Rußland sprach sich auch Bundeskanzler Kohl für eine behutsame Öffnung aus. Kohl nannte den Wunsch der östlichen Nachbarländer nach einem Nato-Beitritt legitim. Allerdings müsse man dabei die „wohlverstandenen Sicherheitsinteressen Rußlands und der Ukraine“ berücksichtigen. Im Westen werde nicht genug über die „psychologische Situation“ in Rußland nachgedacht. Kohl: „Wer mit einem Gefühl des Triumphes an dieses Thema geht, der geht in die Irre.“ Er nannte die Einbeziehung Rußlands in die internationale Friedenstruppe für Bosnien ein „Modell“ für künftige Zusammenarbeit. Der Kanzler wird voraussichtlich noch im Februar nach Moskau reisen.
Rußlands Vizeverteidigungsminister Kokoschin forderte in einem Positionspapier eine Art neutraler Abrüstungszone in Osteuropa. Eine Nato-Erweiterung könnte die „Feindseligkeit“ zwischen Ost und West verstärken. Im mündlichen Vortrag unterstrich Kokoschin zwar diese Position, vermied aber die in seinem Papier enthaltenen scharfen Töne.
Kokoschin sagte, die russische Bevölkerung lehne die Osterweiterung einhellig ab. Moskau sei sehr besorgt über die Erklärungen einiger westlicher Politiker, in osteuropäischen Staaten könnten nach einem Beitritt in die Nato Atomwaffen stationiert werden. Dies würde die Beziehungen zwischen Ost und West um Jahrzehnte zurückwerfen.
Der Bonner Verteidigungsminister Volker Rühe wies Kokoschins Vorwürfe zurück. Deutschland habe nur zugesagt, keine alliierten Truppen in den neuen Bundesländern zu stationieren: „Andere Verpflichtungen gibt es nicht.“
Wie der Kanzler forderte auch der Bonner SPD-Fraktionschef Scharping einen stärkeren Ausbau der sicherheitspolitischen Komponente in der EU. Dabei komme der WEU (Westeuropäischen Union) eine wichtige Rolle als „Verteidigungskomponente“ der Gemeinschaft zu.
Der ungarische Außenminister László Kovács plädierte dafür, das neue europäische Sicherheitssystem auf eine Erweiterung der Nato zu gründen, da das Bündnis über ein glaubwürdiges militärisches Potential verfüge. Allerdings müsse die neue Sicherheitsarchitektur auch Rußland einbeziehen, beispielsweise über Verträge.
Zuvor hatte der SPD-Sicherheitsexperte Egon Bahr eindringlich vor unüberlegten Entscheidungen bei der Osterweiterung der Nato gewarnt. Es gehe um „eine Weichenstellung für Krieg oder für Frieden im 21. Jahrhundert“. Bahr gab zu bedenken, daß die augenblickliche Führung in Moskau auf Zusammenarbeit mit dem Westen angelegt sei. Es sei aber möglich, daß Rußland eines Tages eine Führung bekomme, die sich vom Westen abwende. Dann werde es keine Möglichkeit mehr geben als die Erweiterung der Nato nach Osten.
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