: Managua im Zeichen des Papstes
Zum ersten Mal seit 1983 besucht Johannes Paul II. diese Woche Nicaragua. Anders als damals wagt es heute keine politische Partei mehr, den Pontifex Maximus offen zu kritisieren ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Die nicaraguanische Hauptstadt Managua wird für einen ganzen Tag dichtgemacht, wenn Papst Johannes Paul II. das Land am 7. Februar besucht. Die Regierung hat verfügt, daß der internationale Flughafen an diesem Tag einzig von der Maschine des hohen Gastes benützt werden darf und die vier Straßen, die die Hauptstadt mit dem Rest des Landes verbinden, in Richtung Managua nur beschränkt passierbar sind. Das Tragen von Waffen und das Zünden von Feuerwerkskörpern, die in Nicaragua bei keiner Festlichkeit fehlen dürfen, ist 24 Stunden lang untersagt, Ausschank und Genuß von Alkohol sind in Managua ab dem Vorabend verboten. 1.800 Soldaten, 3.600 Polizisten und 3.000 zivile Agenten werden den Papst beschützen.
Wochenlang wurde der ehemalige Carlos-Fonseca-Platz, wo eine halbe Million Gläubige zur Feldmesse erwartet werden, für Gelder, die dem Sozialbudget fehlen, umgebaggert und für seine Heiligkeit herausgeputzt. Ein Wall aus Zement und Stahl wird ihn vor Volk und Presse abschirmen. Der Platz wurde vor zehn Jahren, auf dem Höhepunkt der Macht der Sandinisten, für eine große Militärparade anläßlich des 10. Todestages des Gründers der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), Carlos Fonseca Amador, angelegt. In den letzten Jahren fand hier vor allem das alljährliche „Ben-Hur- Rennen“ statt, ein Spektakel für die Plebejer von Managua, bei dem die mageren Gäule der Fuhrwerker wie römische Zirkusrosse durch die Manege gehetzt werden.
Sandinistische Sprechchöre bei der letzten Visite
Nicaraguas Gläubige haben an Johannes Paul II. eine alte Schuld abzutragen. Als der Stellvertreter Gottes auf Erden im März 1983 erstmals nicaraguanischen Boden betrat, mußte er schon auf dem Flughafen den Poeten und Befreiungstheologen Ernesto Cardenal maßregeln, der wider das päpstliche Verbot als Kulturminister fungierte. Dann fiel während seiner Messe das Mikrofon aus und sandinistische Sprechchöre forderten ein Wort des Segens für die Opfer eines Überfalls von Konterrevolutionären, die am Vortag bestattet worden waren. Mit hochrotem Kopf und erhobenen Armen mußte sich der Pontifex Maximus Ruhe verschaffen, während Innenminister Tomas Borge drauf und dran war, aufzuspringen und die Predigt selbst zu halten.
Doch in den letzten dreizehn Jahren hat sich in Nicaragua viel verändert. Managuas Erzbischof Miguel Obando y Bravo wurde für seine stramm antisandinistische Haltung mit der Kardinalswürde geehrt und das sandinistische Revolutionsregime vor sechs Jahren abgewählt. Obando hat sich nicht nur mit einer neuen Kathedrale die Unsterblichkeit erkauft, sondern auch den Einfluß der Befreiungstheologie erfolgreich zurückgedrängt. Der erzkonservative Kirchenfürst ist auch für seine politischen Gegner ein Mann, ohne dessen Vermittlung heute kein Konflikt gelöst werden kann.
Der Kardinal wird den größten Tag seiner Karriere erleben, wenn er neben Johannes Paul II. im Papstmobil, das noch rechtzeitig in Chile aufgetrieben werden konnte, den jubelnden Massen zuwinken darf. Obando hat jahrelang auf diesen Tag hingearbeitet. Er hat dafür gesorgt, daß die Position der offiziellen nicaraguanischen Delegationen bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 und bei der UNO-Frauenkonferenz im vergangenen Jahr in Peking gegen den weltweiten Trend auf vatikanischer Linie lagen. Vor Monaten schon bombardierte er kirchliche Hilfswerke rund um den Globus mit Bettelbriefen für den Kirchensender Radio Catolica, „damit das Volk auf den Papstbesuch entsprechend vorbereitet werden kann“. Die Finanzierungsanträge scheinen nicht viel Echo gefunden zu haben, denn Radio Catolica liegt seit zwei Wochen lahm, weil ein Transformator, dessen Ersatz 70.000 Dollar kosten würde, durchgebrannt ist.
Konservative Sexualmoral zieht nicht
Doch die Gefahr, daß sich die Zwischenfälle von 1983 wiederholen, sind gering. Oberst Hugo Torres, der Chef des militärischen Geheimdienstes, überwacht persönlich die Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen und am Carlos-Fonseca-Platz. Und die Polizei konnte rechtzeitig eine Gruppe von angeblichen Attentätern dingfest machen, denen seit April des Vorjahres an die 30 verübte Sprengstoffanschläge auf Kirchen in León und in anderen Provinzstädten angelastet werden. Die angeblichen Drahtzieher sind Mitglieder des lokalen FSLN-Vorstandes in León.
Die Studentenorganisationen, die seit Wochen für die Auszahlung des von der Verfassung garantierten Hochschulbudgets demonstrieren, kündigten eine „Waffenruhe“ an, nachdem 107 Studierende, die letzte Woche an der Besetzung des Außenministeriums teilgenommen hatten, dank Vermittlung von Kardinal Obando auf freien Fuß gesetzt wurden.
Keine Partei wagt es heute, das Oberhaupt des Kirchenstaates offen zu kritisieren oder seinen Besuch mit unpassenden Kundgebungen zu trüben. Selbst das polemische El Nuevo Diario, das sich über die absurden Sicherheitsvorkehrungen mokiert, bereitet die Gläubigen durch eine endlose Serie über das Leben des Karol Wojtila auf den großen Tag vor. Und die sandinistische Barricada erfreut ihre Leser mit einem farbigen Wojtila-Poster.
In der Botschaft des Papstes an die Nicaraguaner wird es um die Versöhnung und um die Familie gehen. Obwohl im tiefkatholischen Nicaragua Marienkult und Wunderglaube gedeihen, ist das Land auf Grund seiner Sexualmoral für den Vatikan kein Musterkind: Die wenigsten Mütter sind verheiratet, Nebenbeziehungen für Männer und Seitensprünge für Frauen gehören zum guten Ton, und in den Unterschichten haben 20jährige oft schon drei Schwangerschaften hinter sich. Selbst die fromme Staatschefin Violeta Chamorro, die letztes Jahr am Tag des Kindes die ersten Neugeborenen in der Frauenklinik streichelte, rief nach effizienterer Familienplanung, als sie die Sprößlinge einer 15jährigen und einer 16jährigen Mutter präsentiert bekam.
Hinzu kommt, daß in Nicaragua, wie in anderen mittelamerikanischen Ländern auch, das Interesse am Katholizismus rückläufig ist. In der einst fast ausschließlich katholischen Region sind heute protestantische Sekten im Kommen. In Nicaragua wird ihre Anhängerschaft in der Bevölkerung auf rund 20 Prozent geschätzt.
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