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Die Piepshow im Untergrund

Chef der Münchner Verkehrsbetriebe stoppt Handys in U-Bahnen, weil er gesundheitliche Schäden nicht ausschließen will. Auf harsche Kritik stößt die Funktelefonities auch bei Wissenschaftlern  ■ Von Klaus Wittmann

In der Münchner S-Bahn tun sie es schon. In einer Berliner U-Bahn, der Linie 4, auch. Nur im Münchner Untergrund ist alles noch ganz anders. Dort wird man auf die hochwichtigen Damen und Herren mit den wohlklingenden Handys auch fortan verzichten müssen. Der Chef der Münchner Verkehrsbetriebe, Herbert König, hat nämlich die Notbremse gezogen.

In Kürze sollten die Münchner U-Bahnhöfe mit Sendeanlagen ausgerüstet werden, die das ungehinderte Telefonieren mit tragbaren Handys ermöglicht hätten. Doch einen entsprechenden Vertragsentwurf stellte König erst einmal zurück. Die aktuelle Diskussion über eine mögliche Gesundheitsgefährdung der Handys gab den Ausschlag. Außerdem, so erklärt König, sei „noch längst nicht klar, ob es die Mehrheit unserer Fahrgäste wirklich will.“ Letzteres könnte erst eine Umfrage klären, über die man bei den Stadtwerken derzeit nachdenkt. Das Argument, Handys könnten im Notfall für eine schnelle Alarmierung wichtige Dienste leisten, zieht laut König nicht. Denn zur Zeit würden die Münchner U-Bahn-Züge mit Sprechstellen ausgestattet, die es den Passagieren ermöglichen, jederzeit den Fahrer zu erreichen.

König weiß, daß er sich bei den Betreibern der Mobilfunknetze keine Freunde macht. Der Münchener Personalleiter der Telekom-Mobilfunkfirma DeTeMobil, Hans Glaser, wußte bis gestern noch nichts von Königs Entscheidung. Die DeTeMobil sei zwar nicht Anbieter dieses Bahnnetzes. Die Bedenken der Stadt hält er dennoch nicht für nachvollziehbar. Auch der Bonner Pressesprecher der DeTeMobil, Stefan Wichmann, hat kein Verständnis für die Entscheidung. Von einer Gesundheitsgefährdung durch Mobiltelefone will er nichts wissen. Alle Richtwerte würden nicht nur eingehalten, sondern sogar unterschritten.

Mehr als 200 Bürgerinitiativen in Deutschland sind da ganz anderer Meinung. Skeptisch sind auch der Lübecker Medizinphysiker Lebrecht von Klitzing und der Leiter des Berliner „Zentrums für Baubiologie und Ökologie“, Hans- Kurt von Eicken. Bei Trägern von Herzschrittmachern und Hörgeräten sei gerade in den U-Bahnen mit Sendestationen die mögliche Beeinträchtigung besonders groß, erklärt von Eicken. In einer Studie kommt von Klitzing zu dem Schluß, Funkwellen von Handys könnten Hirnströme verändern. Von drei Tagen bis zu einer Woche nach einem Handytelefonat seien diese Veränderungen an Testpersonen gemessen worden. Ob es dadurch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen komme, müsse unbedingt untersucht werden, fordert der Wissenschaftler. Eine umstrittene Forschungsarbeit, für deren Weiterführung keine Gelder zur Verfügung gestellt wurden. Die Forschungsgemeinschaft Funk in Bonn hat Klitzings Studien jüngst bei einer Tagung in Frankfurt als „unwissenschaftlich“ abgetan.

Doch mit den Handys gab es auch andernorts schon Probleme, so etwa bei verschiedenen Autofirmen. Mal spielte die Motorelektronik verrückt, mal öffneten sich Airbags. DeTeMobil-Sprecher Wichmann weist darauf hin, daß so etwas bei sachgerechter Anwendung, also beim Telefonieren mit fester Autoantenne, ausgeschlossen sei.

Aus einem ganz anderen Grund findet der Berliner Philosoph Wilhelm Schmid das zunehmende Telefonieren mit Handys problematisch. Schmid beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema „Lebenskunst“ und in diesem Zusammenhang auch mit dem Bereich Kommunikation. „Für viele Menschen ist die Fahrt mit der U-Bahn eine Zeit, in der sie nachdenken können.“

U-Bahnen böten also Räume für Nachdenklichkeit. „Und in die“, so Schmid, „ wird durch dieses aufdringliche Telefonieren massiv eingegriffen.“ Es sei ein Gebot der Höflichkeit, anderen die eigene Privatsphäre nicht aufzudrängen. Doch durch das Austauschen von „dramatischen Belanglosigkeiten“ wie Verabredungen zum Abendessen und ähnlichem werde man immer wieder gezwungen, an den Seifenopern anderer Leute teilzunehmen.

Die vermeintliche Wichtigkeit einzelner Funktelefonate kommt beim Zuhörer allerdings anders an. Er, so ist Schmid überzeugt, empfindet den Telefonsüchtigen eher als Exihibitionist, der sich lächerlich mache. Geradezu pervers werde dies alles, wenn man bedenke, daß inzwischen Firmen Geld damit verdienen, solche Wichtigtuer anzurufen. „Wirklich wichtige Gespräche werden in U-Bahnen sowieso nicht geführt.“

Gegen Walkman-Hörer in U- und S-Bahnen lief der Protest auf Hochtouren. Seltsam, daß nun das unvergleichbar störendere Telefonieren erlaubt werden soll. Bei vielen Passagieren hält sich das Verständnis für die Handytelefonities in Grenzen. Ein gestandener Münchner kann sich über telefonierende S-Bahn-Nachbarn nur empören: „Diese blöde Piepshow sollte ein für allemal verboten werden.“

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