: „So wichtig wie Prince Charles“
■ Urteil mit Signalwirkung: Antifaschist freigesprochen
In dem Satz „Deutsche Täter sind keine Opfer“ mag Amtsrichter Henning Haage keine unzulässige Meinungsäußerung und schon gar keine unangemeldete Gegendemonstration zum Staatsakt erkennen, mit dem am 3. Mai 1995 dem „Tag der Befreiung“ Hamburgs durch die britische Armee gedacht wurde. „Diese Meinung“, so der Richter, „gehört absolut zum Thema. Sie ist genauso wichtig wie die Rede von Prince Charles“.
Der Freispruch für den Antifaschisten Lars R., der sich gestern wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu verantworten hatte, ist gleichzeitig eine Ohrfeige für die Einsatzleitung der Polizei. Die hatte vier junge Männer vom Rathausmarkt schleppen und vorläufig festnehmen lassen, nur weil sie mit Schildern dagegen protestieren wollten, daß sich das Volk der Täter in die Gemeinschaft der Opfer einschleicht. Doch laut Richter Haage entbehrte der Einsatz gegen die vier jeder Rechtsgrundlage – Lars R. hatte das Recht, sich gegen die Festnahme zu wehren. Ob es bei der Festnahme zu Handgreiflichkeiten gekommen sei, spielt so in dem Verfahren keine Rolle mehr.
Der Amtsrichter zeigt sich erst wenig aktenkundig („Ich dachte, es geht um einen Verstoß gegen das Bannmeilengesetz“), um dann mit humoresken Einlagen eine echte Fastnacht-Verhandlung zu führen. Dabei suchen Angeklagter wie Richter ein Forum: Lars R., um auf die Vermischung von Tätern und Opfern und die Kriminalisierung antifaschistischer Meinungsäußerungen hinzuweisen, Richter Haage, um komödiantisches Talent zu beweisen. Da Haage – sei der Hintergrund auch noch so ernst – nur sich selber gerne reden und witzeln hört, bleiben die schriftlichen Ausführungen des Angeklagten weitgehend auf der Strecke. Haage: „Acht Seiten Text sind für ein Amtsgericht zu lang“.
Als auch der Polizist Wolfgang Sch. bestätigt, daß die vier Männer weder krakeelt noch auf sonstige Weise die Veranstaltung gestört hatten, ist das Verfahren entschieden. Ein Urteil mit Signalwirkung: Die drei Antifaschisten, die zusammen mit Lars R. verhaftet wurden und sich demnächst vor Gericht zu verantworten haben, dürfen nun ebenfalls mit Freisprüchen rechnen: vorausgesetzt die Staatsanwaltschaft zieht ihre Anklagen nicht vorher schon zurück.
Marco Carini
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