: Sarkastische Screwballs
Der einzige Paramount-Mann mit Luftkampferfahrung – William Wellman, Regisseur von „Buffalo Bill“, „Public Enemy“ und „A Star Is Born“, wäre heute hundert Jahre alt geworden ■ Von Lars Penning
Als „Wild Bill“ ist der Regisseur William A. Wellman in Erinnerung geblieben: Legendär sind die Prügeleien mit Mitgliedern seines Filmteams, sagenumwoben der Haß auf seine Produzenten, der ihn laut Robert Mitchum auch schon mal dazu verleitete, das Telefon aus der Wand zu reißen, wenn es einer jener Unglücklichen wagte, ihn bei Dreharbeiten anzurufen. Um Wellmans Person ranken sich die Legenden und Anekdoten, um seine Filme hingegen streiten die Kritiker: War Wellman nun ein Autorenfilmer im Hollywood-System, der bevorzugt dramatische Dreiecksgeschichten verfilmte und ähnlich wie Hawks gern die Kameradschaft harter Männer in Extremsituationen darstellte, dabei jedoch einen Hang zum Sentimentalen besaß wie John Ford? Oder gehörte er nicht eher zu jenen Regie-Handwerkern, die sich in jedem Genre gleichermaßen profilieren konnten und sich einem bestehenden Studiostil anpaßten? Der erschwerte Zugang zu einem größeren Teil von Wellmans immerhin fünfundsiebzig Filme umfassenden ×uvre mag die Frage weiter offen halten.
Fest steht, daß Wellman, der beispielsweise allein im Jahre 1933 sieben Filme drehte, sich mit einer Reihe von Routineproduktionen nicht allzuviel Mühe gegeben hat, was er auch selbst gerne eingestand: „Auf jeden guten Film kamen fünf oder sechs Mistfilme.“ Lag ihm jedoch ein Produkt am Herzen, wie beispielsweise der Anti-Lynch-Western „The Ox- Bow Incident“, engagierte er sich derart, daß er sogar einen für ihn äußerst unvorteilhaften Vertrag mit der Fox unterschrieb, um den Film finanziert zu bekommen.
Die Ochsentour durchs Studiosystem
Zum Kino war der am 29. Februar 1896 geborene Wellman eher zufällig gekommen: Douglas Fairbanks, den er bereits 1914 bei einem Eishockeyspiel kennengelernt hatte, bot ihm nach dem Ersten Weltkrieg einen Job als Schauspieler an. Wellman fand sich jedoch bereits in seiner ersten Rolle derart schlecht, daß er die Schauspielerei sofort wieder aufgab und beschloß, statt dessen Regisseur zu werden.
Wie andere bedeutende Regisseure seiner Generation machte er in seiner Ausbildung die Ochsentour durch: Von Botengängen bei den Goldwyn-Studios bis zur Stelle des Regieassistenten von Bernard Durning bei der Fox lernte er sein Geschäft von der sogenannten Pike auf. Als Durning 1923 bei Dreharbeiten erkrankte, bekam Wellman seine große Chance: Er drehte den Film zu Ende und durfte noch im gleichen Jahr seinen ersten eigenen Film „The Man Who Won“ inszenieren. Mit Filmen für MGM und Famour Players-Lasky (der späteren Paramount) erwarb sich Wellman die Reputation, schnell und effizient zu arbeiten, gehörte aber immer noch zur zweiten Garde der Regisseure.
Das änderte sich jedoch im Jahre 1926: Der Erfolg von King Vidors „The Big Parade“ (1925) hatte gerade eine Welle von Filmen über den Ersten Weltkrieg ausgelöst, und Wellman, der im Krieg einer amerikanischen Freiwilligenstaffel der französischen Luftwaffe angehört hatte und damals der wohl einzige Regisseur mit Luftkampferfahrung war, wurde von der Paramount dazu auserkoren, mit gewaltigem Aufwand an Geld, Menschen und Material den Fliegerfilm „Wings“ zu inszenieren. Überall wurde der Realismus der spektakulären Kampfszenen gelobt, und „Wings“ erwies sich als riesiger Publikumserfolg. Bei der ersten Academy- Award-Verleihung wurde er 1927 als bester Film des Jahres mit dem Oscar ausgezeichnet.
Immer wieder kehrte Wellman im Laufe seiner Karriere zu Fliegerfilmen zurück: Mit „The High and the Mighty“ schuf er 1954 sogar einen Film, der später zum Grundmuster aller Flugkatastrophenfilme werden sollte.
„Beggars of Life“, ein Drama um ein Landstreicherpärchen auf der Flucht, etablierte ihn 1928 endgültig als einen der führenden Regisseure Hollywoods. Durch die häufige Verwendung von Überblendungen erzeugt Wellman vor allem zu Beginn des Films Tempo und Dramatik. Spektakuläre Actionsequenzen mit fahrenden Zügen und die Verbindung von höchstem Melodrama mit kleinen komischen Einlagen wie zum Beispiel einem sehr merkwürdigen „Gerichtsverfahren“ der Hobos zeigen Wellman auf dem Höhepunkt seines Schaffens.
1930 wechselte Wellman zu Warner Bros, wo er 1931 mit „The Public Enemy“ einen der härtesten Gangsterfilme seiner Zeit schuf. Unvergessen ist wohl vor allem jene Szene, in der James Cagney Mae Clarke eine halbe Grapefruit ins Gesicht preßt. 1937 drehte Wellman mit der sarkastischen Screwballkomödie „Nothing Sacred“ und dem Melodram „A Star is Born“ zwei Technicolor- Prestigeproduktionen für Goldwyn und erwies sich einmal mehr als Meister aller Genres.
Interessant auch seine Western: Wellman, der sein Handwerk beim Drehen von Serienwestern erlernt hatte, wollte nicht mehr die immer gleiche Formel reproduzieren. Enthält das Technicolor-Bilderbuch „Buffalo Bill“ (1944) noch spektakuläre Szenen von Büffeljagd und Indianerkampf in der Prärie, so ist „Yellow Sky“ (1948) eher ein in einer Geisterstadt spielendes Melodram. „Across the Wide Missouri“ (1951) zeigt Clark Gable als Trapper, der das Land westwärts erschließt und eine Indianerin heiratet, und „Westward the Women“ (1952) erzählt von den Erlebnissen einer „Karawane der Frauen“, die als eine Art Mailorder-Bräute von Pionier-Siedlern schon sehnsüchtig erwartet werden.
Mitchums rote Jacke in Winterlandschaft
Eine von Wellmans persönlichsten Produktionen ist der Anti-Lynch- Film „The Ox-Bow Incident“, aus heutiger Sicht eher eine reichlich bittere Moralpredigt vor Westernkulisse. Wellmans wirkliche „folly“ war jedoch „Track of the Cat“ (1954), ein Schwarzweißfilm in Farbe. In dem auf einer winterlichen Farm in den Bergen spielenden Familiendrama stellt Robert Mitchums rote Jacke den nahezu einzigen Farbtupfer dar und symbolisiert den Mann der Tat. Wellmans künstlerische Ambitionen fanden jedoch beim Publikum keinen Anklang, und nachdem er bei „Lafayette Escadrille“ (1958) von Jack Warner gezwungen wurde, ein Happy-End zu drehen, zog sich Wellman verbittert vom Kino zurück. Er starb 1975 im Alter von 80 Jahren.
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