■ Mit DDR-Strahlenschützern auf du und du: „Weltanschauungen“
Berlin (taz) – Allein beim Staatlichen Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) gingen nach Tschernobyl 140 schriftliche Beschwerden ein. Heiltraut Friedrich aus Seifersdorf zum Beispiel forderte das Abschalten der Atomanlagen der DDR. Die Antwort des Amtes war lapidar: „Der tragische Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl ist selbstverständlich Anlaß, alles zu unternehmen, um die friedliche Nutzung der Kernenergie noch sicherer zu gestalten.“
Birgit Neumann und Kai Becker von der Evangelischen Studentengemeinde Halle beschwerten sich beim Gesundheitsministerium über die „unzureichende Berichterstattung“. Daraufhin kam es zu einem Gespräch mit dem Bezirksarzt von Halle. Der bezeichnete die Eingabe der beiden als Ausdruck „unserer unterschiedlichen Weltanschauungen“. Er bat darum, der „Kompetenz zuständiger Stellen zu vertrauen“. In der Berichterstattung habe es zwar Fehler gegeben, aber „die ständige Veröffentlichung von Meßergebnissen, die doch nicht verständlich sind, entspräche dem Stil der Boulevardpresse“.
Ludwig und Erika Drees aus Stendal schrieben gleich an Erich Honecker: „Als Bürger der Stadt Stendal erleben wir mit Sorgen den Bau des Kernkraftwerkes vor unserer Stadt.“ Sie forderten einen Baustopp und eine „breitangelegte Initiative der Information, Aufklärung und Diskussion in der Bevölkerung der DDR“ zur Atomkraft.
Im Antwortbrief verweist der Leiter der Abteilung Energiewirtschaft bei der Staatlichen Plankommission auf „große Erfolge“ bei der Energieeinsparung. Weiter heißt es: „Die von Ihnen getroffene Aussage, daß Kernkraftwerke Radioaktivität abgeben, ist eine subjektive Annahme und wissenschaftlich nicht fundiert. (...) Was schließlich die Frage der moralischen Vertretbarkeit der Kernenergie betrifft: Die gesamte Entwicklung der Menschheit, Kultur und Technik beweist, daß die Entwicklung immer vom Niederen, vom Einfachen zum Vollkommenen verläuft. (...) Wenn Sie für eine menschenfreundliche Umwelt sind, dann unterstützen Sie bitte in Ihrer täglichen Arbeit die Energiepolitik der DDR und den Kampf um den Frieden und eine atomwaffenfreie Zukunft. Nur so kann ein atomares Inferno wirksam verhindert werden.“ alf
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