: Meine Wirklichkeit, deine Wirklichkeit
Aus Prinzip realistisch: Der Künstlersonderbund zeigt im Berliner Martin-Gropius-Bau, mit 1,25 Millionen Mark Lottogeldern unterstützt, eine Leistungsschau der zeitgenössischen realistischen Malerei: „Die Kraft der Bilder“ ■ Von Brigitte Werneburg
Christo in Berlin, das muß ein schwerer Schlag gewesen sein. Und jetzt hat der neu installierte Berliner Kultursenator Peter Radunski den zukünftigen Regierungssitz im Zustand der Verhüllung auch noch als beispielhaftes „Highlight“ des vergangenen Jahres gepriesen.
Allein, was uns nicht umbringt, macht uns hart. In Berlin nämlich ist der Künstlersonderbund in Deutschland zu Hause, der seinen Namen mit dem Kampfaufruf „Realismus der Gegenwart“ fortschreibt. Neun Monate nach dem „Wrapped Reichstag“ ist es wieder soweit: Zum zweiten Mal nach 1993 richtet der Sonderbund im Martin-Gropius-Bau seine große Triennale-Ausstellung aus. In Eigenregie, mit 1,25 Millionen Mark Lottomitteln, aber ganz ohne das „Diktat karrieresüchtiger Ausstellungsmacher“, wie sich der Vorsitzende Matthias Koeppel in seinem Text „Zur Ausstellung“ im Katalog brüstet.
Die karrieresüchtigen Ausstellungsmacher nämlich versuchen das „beharrlich fortschreitende Prinzip Realismus“ zu be-, wenn nicht gar zu verhindern. „Entertainment“ und andere Hexenkunst ist ihr Metier, sie befürworten Konzeptkunst und den so überaus verwerflichen Populismus von Großveranstaltungen à la Christo und Jeanne-Claude.
Nein, man soll sich nicht täuschen, Kunst fürs Volk ist das Anliegen des Künstlersonderbund- Unternehmens auf seinem Berliner Sonder-Weg nicht. Der Vorsitzende Koeppel hat den wahren Kriegsschauplatz schon mal in die Zentralperspektive gerückt: Wer dächte anläßlich seines aktuellen Historienschinkens „Grundsteinlegung am Potsdamer Platz“ nicht zwangsläufig an all die Büros, an deren kahlen Wänden noch all die schönen Bilder fehlen, die im Martin-Gropius-Bau zu bewundern sind?
Das Schöneberger oder jetzt auch das Rote Rathaus mit Malerei zu schmücken, mag für Koeppel eine Sache sein, doch entschieden mehr Prestige verspricht Auftragskunst für die Vorstandsetagen. Ob aber die Konzernherrn (mit vier Milliarden Miesen) und die Immobilienspekulanten (mit ihrem ruinösen Leerstand an Büroflächen), so viel Lust auf die abstürzenden Ikarusse von Bernd Göbel, Bernd Stöcker oder von Wolfgang Kubach-Wilmsen haben werden? Und da sie auch vermeiden werden, die „Fixerin“ von Dieter Asmus jemals realiter zu Gesicht zu bekommen – warum also sollten sie sie dann hinter ihren Schreibtisch hängen? Also mit den Kritischen Realisten wird das nichts, befürchte ich, und die alte Garde der sozialistischen Realisten ist sowieso am Absaufen. So zeigt es jedenfalls die „Gefährdung“ von Willi Sitte, das Bild eines Ertrinkenden, dem in der Not wenngleich nicht die Rettung, so doch ein drittes Auge zuwächst. Und Roland Paris, der einstmals im „Palast der Republik“ trutzte: „Unser ist die Welt – trotz alledem“, bedenkt inzwischen das Thema der „Schändung des Marsyas“.
Auch daß sich der Sonderbund europaweite Unterstützung für „Die Kraft der Bilder“ in die deutsche Hauptstadt (in das Haus mit dem Blick auf den Potsdamer Platz) geholt hat, hilft seinem Anspruch, das Beste der Gegenwartskunst zu feiern, nicht weiter. Die Kraft der gemeinen Bilder fällt auch bei den Italienern, Franzosen, Österreichern, Polen, Spaniern oder Schotten mehr auf, als die Überzeugungskraft raffinierterer Artefakte. Was soll man etwa vom „Sex in Scotland“ halten, wenn sich zwei eher unschöne Menschen männlichen und weiblichen Geschlechts gegenüberstehen, sich an Busen und Genital begrapschen – und neben ihm sieht man einen Wecker stehen und an ihrer Seite eine Rolle Klopapier? Immerhin ist das Ken Curries Fanal im Kampf gegen die „gesellschaftlich bedeutungslose“ und zudem langweilige „Ideenkunst“. Diese aber wird laut Currie von konformistischen Kunstinstitutionen gestützt, die vorschreiben möchten, wie die internationale zeitgenössische Kunst auszusehen habe.
Doch die vom Sonderbund behauptete Frontstellung gegen jegliche figürliche Malerei und Skulptur war schon vor drei Jahren eine intrigante Lüge. Eine Wunschmaschine, die den heftig beschworenen Respekt für die großartige europaweite Opposition der Realisten auch heute nicht liefern kann. Die Kunst der Gegenwart zieht ihre Kraft – wenn man schon in solchen Worten reden mag – keineswegs aus dieser eingebildeten Konfrontation.
Immerhin müssen sich die Sonderbündler ab heute in unmittelbarer Nachbarschaft den Vergleich mit einer anderen Kunst gefallen lassen. Einer Kunst, die in ihrer Abrechnung nicht vorkommt, die aber tatsächlich aus dem „Abseits“ heraus die Entwicklung der Kunst im 20. Jahrhundert beeinflußt hat – der Kunst aus Afrika. Hergeholt hat dieses „Highlight“ natürlich ein bekannter Karrierist, Christos M. Joachimides, der eine Firma betreibt, die nicht von ungefähr auf den Namen „Zeitgeist-Gesellschaft“ hört.
Bis 8. April, Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße 110, Katalog DM 48.
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