: In den Drill der Psychokulte hineingeboren
■ „Die Sekten-Kinder“: Erste Untersuchung zum Thema in Hamburg vorgestellt
Bei der Diskussion über die Machenschaften von Sekten wurde ein Aspekt bisher fast völlig ausgeblendet: das Schicksal der Kinder, die von Geburt an der totalen Vereinnahmung ausgeliefert sind. Der Pädagoge Kurt-Helmuth Eimuth hat diese Problematik aufgegriffen. Auf Einladung der Hamburger Scientology-Beauftragten Ursula Caberta stellte er jetzt seine Untersuchung „Die Sekten-Kinder“ vor.
„Das ist noch unerforschtes Gebiet. Dabei gibt es allein 80.000 Kinder und Jugendliche bei den Zeugen Jehovas in Deutschland; in die Vereinigungskirche des Koreaners Mun wurden schon 2000 Kinder hineingeboren“, schilderte Eimuth die Dimension der Manipulation der Jüngsten. Durch das Ver-innerlichen der Sektenideologie von kleinauf würden die Kinder jeglicher Form von sozialer Mitverantwortung entfremdet, warnte der Leiter der Evangelischen Arbeitsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen in Frankfurt.
Die Mitglieder der sogenannten Jugendreligionen der siebziger Jahre sind heute selbst Eltern. Und die stecken ihren Nachwuchs immer häufiger in eigene Erziehungseinrichtungen, um die Abschottung zur Außenwelt perfekt zu machen. „Das ist neu. Die Sekte Universelles Leben unterhält in Hamburg zum Beispiel eine Kinderkrippe und eine Schule“, so Eimuth. Andere „Psychokulte“ umgingen die deutsche Gesetzgebung und schickten ihre Sprößlinge auf eigene Internate nach Dänemark oder in die USA. Auch fundamentalistische christliche Gemeinden, die der neocharismatischen Bewegung zuzurechnen seien, engagierten sich zunehmend als Träger von Kindergärten.
Eindringlich warnt der Sekten-Experte vor den Aktivitäten der Scientologen, die neben der Wirtschaft das Erziehungswesen im Visier hätten. In Hamburg werden die Kinder schon im Vorschulalter in der Kindergruppe „Happy Kids“ auf die Ideologie des Sektengründers L. Ron Hubbard eingeschworen. „Scientology kennt keine Kindheit. Kinder sind dort Thetane (unsterbliche Geistwesen, die Red.) in kleinen Körpern. Alle Programme werden mit ihnen durchgeführt, auch das von hypnotischen Elementen durchsetzte Auditing.“ Scientology-Expertin Ursula Caberta sprach ein würdiges Schlußwort: „Kinder sollen fröhlich und lustig sein – und nicht nur Probleme aus früheren Leben wälzen.“ Volker Stahl
Kurt-Helmuth Eimuth: „Die Sekten-Kinder. Mißbraucht und betrogen – Erfahrungen und Ratschläge“, Herder Verlag, 19.80 Mark
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