: Wenn die Toten wieder reden
In Namibia wird ein Buch über Verbrechen der regierenden Swapo während des Befreiungskrieges zum Bestseller. Die Regierung tobt ■ Aus Windhoek Adolf Lüdemann
Die Nerven der namibischen Regierung liegen bloß. Hatte Namibia seit der Unabhängigkeit 1990 kaum politische Erschütterungen erlebt, beschimpft jetzt die Staatsspitze Kritiker als Feinde. Anlaß ist die namibische Vergangenheit, die bisher im Namen der Politik der „nationalen Aussöhnung“ zwischen Schwarz und Weiß nicht diskutiert worden war.
Vor einem Jahr hatte der deutsche Pastor Siegfried Groth, der von 1973 bis 1989 namibische Flüchtlinge in Angola und Sambia betreute, in Deutschland ein Buch veröffentlicht, in dem er Menschenrechtsverletzungen durch die heute regierende ehemalige Guerillabewegung Swapo („Südwestafrikanische Volksorganisation“) im angolanischen Exil während des Befreiungskrieges und ihre Vertuschung aus falscher Solidarität durch die lutherischen Kirchen in Deutschland und Namibia anprangerte („Namibische Passion“, Hammer Verlag 1995). Die Publikation blieb nahezu unbemerkt, bis Ende 1995 in Namibia die englische Übersetzung „Namibia – The Wall of Silence“ (Die Mauer des Schweigens) herauskam.
Groths Vorwürfe, gestützt auf Berichte aus erster Hand, sind gravierend: Als die Swapo in den 80er Jahren von Angola aus gegen die südafrikanischen Streitkräfte im damaligen „Südwestafrika“ kämpfte, stempelte sie immer wieder Namibier, die zur Guerilla stießen, als südafrikanische Spione ab und hielt sie in Erdlöchern fest. Hunderte von Menschen wurden in den Swapo-Lagern Angolas gefoltert und ermordet. Die Vorwürfe sind nicht neu, waren aber seit der Befreiung Namibias 1990 nicht mehr diskutiert worden.
Die Reaktion des Staates auf Groths Veröffentlichung war erstaunlich. Präsident Sam Nujoma trat vor das Fernsehen und stieß in einer 15minütigen „Rede an die Nation“ offene Drohungen aus. Alle Nichtfreunde der Swapo, so der Tenor des Präsidenten, seien Apartheidapostel. Dann warnte der frühere Guerillaführer vor „Ruhestörern“ und „Feinden der Aussöhnungspolitik“.
Präsident Nujoma warnt vor „Ruhestörern“
Die Folge: Groths Buch ist mittlerweile überall ausverkauft. Selbst in den Swapo-Hochburgen des hohen Nordens um Oshakati, wo viele Menschen nicht lesen können, sind die Buchhändler hektisch damit beschäftigt, neue Exemplare nachzubestellen, und es kursieren Gerüchte, das Buch könne demnächst verboten werden. Übersetzungen in die Burensprache Afrikaans und die größte einheimische Sprache Oshivambo sind geplant.
Eine Flut von regierungskritischen Leserbriefen füllt außerdem seitenweise die namibischen Zeitungen. So berichtete letzte Woche eine Schreiberin in einem offenen Brief an die Swapo-Führung, wie ihr Bruder am 8. November 1986 „in den Kerkern von Lubango“ ums Leben kam und ein anderer Swapo-Soldat vom heutigen Staatssicherheitschef Peter Sheehama erschossen wurde. Außerdem seien viele Exgefangene der Swapo in Angola zurückgelassen worden und verschollen. „Erwarten Sie von uns, diese Menschen einfach zu vergessen?“
Anders als der ANC in Südafrika, in dessen Exilcamps ebenfalls Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, hat die Swapo ihre „Dissidenten“ bislang nicht rehabiliert. Es ist in Namibia auch nicht die Bildung einer „Wahrheitskommission“ wie in Südafrika geplant, die dort außer den Verbrechen der Apartheid auch die des ANC untersuchen soll. Das liegt sicher mit daran, daß Südafrikas ANC-Führung während der Apartheid größtenteils inhaftiert war und daher die Menschenrechtsverletzungen ihrer Organisation nicht direkt mitveranworten muß, während Namibias heutige Führung auch im Exil das Sagen hatte. Präsident Sam Nujoma war damals schon Präsident der Swapo und Oberbefehlshaber ihres militärischen Arms „Plan“, und laut Aussage der Betroffenen besuchten fast alle Führungskader, auch Nujoma, die Erdlochlager. Der als „Schlächter von Lubango“ berüchtigte Salomon Hawala, damals Chef des Swapo-Geheimdienstes, kommandiert heute das namibische Heer.
Nujoma, fordert der vom Präsidenten in seiner Rede persönlich angegriffene Hochschullehrer Christo Lombard, der für seinen Einsatz gegen die Apartheid bekannt ist, müsse nun „die wahre Aufgabe der Aussöhnung“ ernst nehmen: „Zuerst all jene Dinge gestehen, die falsch gelaufen sind, diese Fehler in Demut eingestehen, die Ehre der Betroffenen wiederherstellen und soweit wie möglich Wiedergutmachung üben.“
Wer hoffte, Nujomas Brandrede sei ein einmaliger Fauxpas gewesen, wurde letzte Woche von Swapo-Generalsekretär Moses Garoeb eines Besseren belehrt. Vor der versammelten Presse gebärdete sich der sichtlich verärgerte Politiker als Politrambo. Hatte Nujoma noch „Feinde der Aussöhnungspolitik“ gegeißelt, behauptete Garoeb nun, die Aussöhnungspolitik sei „gescheitert“, und er weine ihr keine Träne nach. Die Swapo sei „beleidigt und provoziert“ worden. Daher werde sie sich weder für Menschenrechtsverletzungen entschuldigen – „das muß ein Witz sein“ – noch an einer für die Jahresmitte geplanten Sonderkonferenz des namibischen Kirchenrates über die Menschenrechtsverletzungen teilnehmen. „Wir haben jetzt den Punkt erreicht, an dem wir sagen können: Genug ist genug! Die Partei könnte gezwungen sein, den Krieg wiederaufzunehmen“, polterte Garoeb und rief zu Wachsamkeit vor den „Feinden der Nation“ auf.
Ob Garoeb die Position der Swapo wiedergibt, ist unklar, da die Partei noch nicht Stellung bezogen hat. Der respektierte Politikwissenschaftler Joe Discho hat nun Garoebs Rücktritt von allen Parteiämtern gefordert. Es bleibt zu hoffen, daß sich Garoebs überholte Rhetorik nicht wie ein Flächenbrand in Namibia ausbreitet.
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