(K)eine Entschuldigung für die Aids-Opfer

Beim Bluter-Skandal spricht der Bayer-Konzern in Japan und Deutschland mit gespaltener Zunge  ■ Aus Tokio Georg Blume

Zwischen den Betontürmen des Pacific- und Prince- Hotels, inmitten der Tokioter Innenstadt, liegt das japanische Hauptquartier des Bayer-Konzerns. Kaum ein anderes deutsches Unternehmen hat es hier, in den teuersten Geschäftsvierteln der Welt, so weit gebracht: Knut Kleedehn, der Bayer-Chef in Japan, und Theo Plischke, der die japanische Pharma-Tochter Bayer Yakuhin führt, beschäftigen allein in der Tokioter Zentrale 400 Mitarbeiter. Und doch war den beiden Konzernlenkern gestern nicht nach Selbstlob zumute.

„Wir standen hier in den letzten zwei Monaten fast täglich in der Presse. Das hat Einfluß auf unser Image in Japan gehabt“, faßte Plischke die bislang schwerste Bayer-Krise in Japan zusammen. Tatsächlich befand sich Bayer noch vor wenigen Tagen im Mittelpunkt des größten Arzneimittel-Skandals der japanischen Geschichte. Ähnlich wie in Deutschland und anderen Ländern hatten sich in Japan Anfang der achtziger Jahre zahlreiche Bluter-Patienten durch unerhitzte Blutpräparate mit dem Aids-Virus infiziert. Damals war Bayer Weltmarktführer für die todbringenden Produkte.

Nach sieben Jahren kam die Entschuldigung

Die Betroffenen hatten Bayer, vier weitere Konzerne und die japanische Regierung bereits vor sieben Jahren verklagt, doch erst vergangenen Freitag kam ein gerichtlicher Vergleich zustande (siehe Kasten). In der Zwischenzeit waren von den 2.000 Opfern bereits 400 verstorben.

Der Vergleich in Japan schaffte plötzlich eine neue Situation: Von einem „historischen Erfolg“ war bei den Opfern nun die Rede. Ihr Wortführer Ryuhei Kawada sah den Augenblick gekommen, da ihm die menschliche Würde zurückgegeben wurde. Die japanischen Bluter haben mit diesem Schiedsspruch erreicht, was den Opfern in ähnlichen Fällen zuvor in keinem anderen Land gelungen war. Der deutsche Bayer-Manager hat sich bisher schon zweimal in aller Öffentlichkeit für das Verhalten seiner Firma entschuldigt, sowohl am Tag des Vergleichsschlusses als auch bei einer Begegnung mit den Opfern wenige Tage zuvor. „So wie ich es gesagt habe, habe ich es auch gemeint. Dafür stehen wir jetzt als Firma“, bestätigte Plischke gestern. Doch darf man die geläuterten Bayer-Manager in Tokio wirklich beim Wort nehmen?

Was Bayer jetzt in Japan vor Gericht unterzeichnete, hat Folgen über Japan hinaus. In Bonn reagierte der Gesundheitsexperte der Bonner SPD-Fraktion, Horst Schmidbauer, postwendend auf den Vergleichsschluß und forderte Bayer auf, „sich bei den deutschen Opfern zu entschuldigen — genauso, wie es jetzt in Japan geschehen ist“. Eine Antwort darauf war vom Bayer-Hauptsitz in Leverkusen aber gestern nicht zu erhalten.

„In Japan ist es in einer solchen Situation üblich, die Gefühle öffentlich auszusprechen. Ob das in Deutschland notwendig ist, wissen wir nicht“, sagte Plischke. In Leverkusen versuchte Unternehmenssprecherin Christina Sehnert, die Bayer-Entschuldigung gar mit Japans „kulturellen Gegebenheiten“ zu erklären. „Wenn wir uns in Deutschland entschuldigen, ist doch gleich von Schuld die Rede“, sagte Sehnert.

Als wenn das in Japan anders wäre! Von Schuld im juristischen Sinne war zwar auch bei den Tokioter Richtern nicht die Rede. Sonst wäre der Vergleich nicht möglich gewesen. Doch an der öffentlichen Botschaft zweifelte niemand: „Wir hätten die Katastrophe vermeiden können“, sagte der japanische Gesundheitsminister Naoto Kan. Gleiches aber wollten die Bayer-Manager nicht behaupten.

Viel wichtiger erschien ihnen die Versicherung, daß den japanischen Opfern im Bluter-Skandal keinesfalls mehr Gutes getan werde als den deutschen Betroffenen. „Wenn berücksichtigt wird, daß die soziale Absicherung in Japan schlechter als in Deutschland ist und die Kaufkraft der Japaner zudem geringer, dann liegen die Lösungen in beiden Ländern in den gleichen Größenordnungen“, meinte Plischke. Vermutlich dachte er dabei an einen betroffenen deutschen Bauunternehmer, der 1988 500.000 Mark erhielt, nicht aber an das vierjährige deutsche Kind, das von den deutschen Versicherern zur gleichen Zeit nur 5.000 Mark bekam – aufgrund seines geringeren Einkommens.

Durchschnittlich lagen die Vergleichssummen für HIV-infizierte Bluter in Deutschland bei rund 60.000 Mark. Da in Japan heute das zehnfache, nämlich 630.000 Mark, als einmalige Entschädigungssumme pro Opfer zuzüglich einer Rente gezahlt werden muß, hatte der SPD-Abgeordnete Schmidbauer bereits von einem „schäbigen Vergleich“ in Deutschland gesprochen.

So konnte man es in der Tokioter Bayer-Zentrale nicht ausschließen, daß der japanische Bluter- Skandal auch in Deutschland alte Wunden wieder aufreißt. „Die Nachwehen der HIV-Geschichte werden uns noch eine längere Zeit beschäftigen“, sagte Knut Kleedehn.