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„Alle hofften, daß ich mich blamiere“

■ Hans-Christoph Blumenberg, Regisseur mit Bremer Heimatgefühlen, über seine Bekehrung zum Low-Budget-Film

Vom Filmkritiker zum Filmregisseur. Hans-Christoph Blumenberg begann mit 16 Jahren seine Kritikerlaufbahn beim „Weser-Kurier“ – damals als Leiter des Schülerfilmkreises. In Bremen verbrachte Blumenberg seine Kindheit und Jugend. Später kam er als Filmkritiker zur Hamburger „Zeit“. Vor 13 Jahren ist Blumenberg von der Theorie zur Praxis gewechselt.

Sein neuester Film setzt sich mit dem vergessenen Star-Regisseur Reinhold Schünzel auseinander, jenes Hasardeurs, der – als Halbjude eingestuft – mit einer Sondergenehmigung auch nach 1933 noch Filme machen durfte, gar zum „Ehrenarier“ ernannt werden sollte. In 33 karg ausgestatteten Szenen porträtiert Blumenberg den Lebensweg Schünzels: von den UFA-Studios nach Hollywood und nach dem Zweiten Weltkrieg zurück ins Adenauer-Deutschland, wo Schünzel, wunderbar dargestellt von Peter Fitz, nicht wieder Fuß fassen konnte.

Für sein bewußt minimalistisches Filmporträt und dessen delikate Dialogzeilen – jede einzelne funkelnd geschliffen – bekam Blumenberg unlängst Post vom Innenministerium: Am 31. Mai wartet ein Bundesfilmpreis für das beste Drehbuch auf ihn.

taz: Was verbindet Sie noch mit Bremen?

Hans-Christoph Blumenberg: Der erste Kuß am Osterdeich, das vergißt man nicht. Schule, Tanzschule ... Das ist halt Heimat. Es ist Zufall, daß ich hier nicht geboren bin. Und Rindsrouladen meiner Mutter, das sind die besten der Welt – das ist natürlich sehr subjektiv.

Warum haben Sie vor 13 Jahren die Seiten gewechselt: vom Kritiker zum Regisseur? Hatten Sie etwas zu sagen, was Sie nur filmisch ausdrücken konnten?

Sie machen heute ein Interview mit mir und morgen mit dem nächsten. Die Wörter, mit denen Sie über die verschiedenen Personen schreiben, sind die gleichen. Wenn Sie das 20 Jahre machen, haben Sie irgendwann ein déjà vu. Ich war mit Mitte 30 an dem Punkt angelangt, daß ich dachte, wenn ich das noch ein paar Jahre mache, werde ich wahnsinnig.

Ihr erster Kinofilm war „Tausend Augen“ von 1984 mit Barbara Rudnik und Armin Müller-Stahl. War es kein Problem, die 1,5 Millionen aufzutreiben?

Jeder war total willig, mir Geld zu geben, weil jeder hoffte, daß ich mich blamieren würde! Wenn Sie als berühmter Filmkritiker einen ersten Film machen, gibt Ihnen jeder Geld. Vorwegnehmende Schadenfreude hat meine ersten drei Filme finanziert.

In Ihren ersten Filmen versuchten Sie noch, all das besser zu machen, was Sie an Filmen von den anderen kritisierten. Dann kam die Kehrtwendung ...

Das ist interessant. Damals hab ich mit vergleichsweise viel Geld angefangen, inzwischen mach ich Filme mit einem Bruchteil dieser Gelder. „Rotwang muß weg“ (1993) war ein Neuanfang mit krimineller Energie. Da hatten wir 390.000 Mark und zehn Drehtage. Das war auch ein Kinderkreuzzug, weil das Durchschnittsalter der Mitarbeiter meiner Filme bei 25 liegt.

Künstlerisch war das geringere Budget ja nicht unbedingt ein Schaden ...

Meine ursprüngliche Idee von Mitte der 80er Jahre, den „intelligenten Unterhaltungsfilm“ in Deutschland zu machen, ist gescheitert, da sind uns die Amerikaner um Lichtjahre voraus. Ich glaube, daß meine früheren Filme epigonaler waren.

Der Marktanteil des deutschen Films steigt, nicht zuletzt, nachdem potente Verleiher deutsche Filme ins Programm genommen haben. Warum wollte in den 80er Jahren keiner deutsche Filme sehen? Wie sagen Sie als Kritiker dazu?

Sagen Sie doch bitte nicht immer „als Kritiker“! Ich bin seit 13 Jahren kein Kritiker mehr. Selbst Mord verjährt irgendwann!

Es ist sehr schwer zu sagen. Ich hab das Gefühl, so was bewegt sich immer wellenförmig. In den 70er Jahren gab es eine Phalanx von fünf, sechs extrem guten und erfolgreichen Filmemachern, die auch das Publikum erreicht haben, mit Filmen wie „Die Blechtrommel“, die „Ehe der Maria Braun“, „Der amerikanische Freund“. Das hält immer nur ein paar Jahre, und dann entsteht wieder ein Loch. Das entscheidende Datum, als eine Ära des deutschen Films zu Ende ging, war wohl der 10. Juni '82, der Tod von Fassbinder.

Weil der Autorenfilm sich überlebt hatte?

Der Begriff Autorenfilm ist inzwischen sehr negativ besetzt. Das wird inzwischen gleichgesetzt mit irgendwelchen Jungs, die tagebuchartig-subjektivistisch vor sich hin filmen, ohne Rücksicht auf Verluste.

Was hat Sie an der Figur Reinhold Schünzel gereizt?

Die Frechheit und das Beharrungsvermögen Schünzels, das ist alles so undeutsch, das gefällt mir sehr gut.

Schünzel tritt unter den Nazis die Flucht nach vorn an. „Hitler liebt mich“ behauptet er ebenso leicht- wie größenwahnsinnig. War Schünzel so verrückt oder so naiv?

Er war politisch naiv, 1933, weil er glaubte – wie viele, die keine Nazis waren –, daß die Hitler-Regierung sich nur so lange halten würde wie die ganzen Regierungen am Ende der Weimarer Republik. Und er fühlte sich sicher, weil Adolf Hitler diese historisch verbürgte Schwäche für Renate Müller, seine Hauptdarstellerin, hatte und er dadurch die Sondererlaubnis kriegte. Er war kein Opportunist, er war ein Spieler.

Fragen: Alexander Musik

„Beim nächsten Kuß knall' ich ihn nieder“; Deutschland 1995; Regie: H.C. Blumenberg; D: Peter Filz, Bettina Kupfer; läuft derzeit im Bremer „Atlantis“

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