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Trauer und Proteste

■ In der Ukraine gedachten Tausende der Toten von Tschernobyl. Umweltministerin Angela Merkel spricht sich für weitere Atomkraftnutzung aus

Berlin (taz/dpa/AP) – In Slawutitsch, einer 40 Kilometer von Tschernobyl neu erbauten Stadt (taz-Reportage von gestern), gedachten die Bewohner um 1.24 Uhr mit einer Kerzendemonstration der Reaktorexplosion. Die von Lautsprechern übertragende feierliche Musik wurde vom Ticken einer Uhr abgelöst. Etwa zehn Atomkraftgegner ketteten sich an die Bahnstrecke nach Tschernobyl. Sie trugen Gasmasken und forderten die Schließung des AKW.

In Seoul demonstrierten Atomkraftgegner mit weißen Masken und orangefarbenen Overalls gegen die Atomkraft.

In Frankreich hat die Regierung jetzt begonnen, Jodtabletten an 400.000 Menschen zu verteilen – vorsorglich. Die Bevölkerung soll so vor den Folgen einer Atomkatastrophe geschützt werden.

In Moskau nannte Staatspräsident Boris Jelzin das Tschernobyl- Unglück „die größte Katastrophe der Menschheit“. Er will die Sicherheit in russischen Atomkraftwerken erhöhen. Der zur Zeit der Katastrophe amtierende sowjetische Präsident Michail Gorbatschow erklärte, daß seine Staatsführung die Bedeutung der Katastrophe zunächst in keiner Weise begriffen habe. „Erst nach und nach erkannten wir das gesamte Ausmaß“, sagte Gorbatschow in einem Fernsehinterview.

In Kiew hielten orthodoxe Christen zusammen mit ihrem Patriarchen eine Nachtwache in einer Kirche, die 1991 zu Ehren der Opfer von Tschernobyl errichtet worden ist. Die Straßen der ukrainischen Hauptstadt waren voller Plakate mit Bildern des ausgebrannten Reaktors und der Evakuierung umliegender Dörfer.

Im Kraftwerk von Tschernobyl war der 26. April ein ganz normaler Arbeitstag. Wenige hundert Meter von dem Unglücksreaktor, der in einen zunehmend schadhaften „Sarkophag“ eingehüllt ist, saßen Ingenieure vor ihren Geräten zur Überwachung der Reaktoren, die noch in Betrieb sind. Erst am Donnerstag war es beim schlampigen Umgang mit radioaktivem Müll erneut zu einer Erhöhung der Radioaktivität gekommen. Die Atomingenieure fürchten um ihre Zukunft, wenn das Kraftwerk in Tschernobyl endgültig stillgelegt wird. Die G-7-Staaten wollen dafür 3,1 Milliarden Dollar bezahlen.

In Bonn sprachen sich Umweltministerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Günter Rexrodt für eine weitere Nutzung der Kernenergie aus. Wer Atomkraft weltweit sicherer machen wolle, dürfe nicht selbst aus dieser Technik aussteigen. Gleichzeitig forderte Merkel, Reaktoren mit „nicht akzeptablen Sicherheitsrisiken“ müßten entweder nachgerüstet oder vom Netz genommen werden. kuz

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