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Nazis können nicht tanzen

Ein Mythos mit Folgen: „Skinheads“, ein dokumentarischer Szenequerschnitt von Klaus Farin und Reiner Fromm, sucht den Weg zurück zum guten Skintum der britischen Arbeiterklasse  ■ Von Harald Fricke

Vor vier Jahren war das Urteil in Deutschland eindeutig. Mit der Meute aus Metal- und HipHop- Kids vor den brennenden Asylbewerberheimen in Rostock-Lichtenhagen galt Jugend kulturell als beendet. Diedrich Diederichsen schrieb in der November-Spex 1992 zum Rechtsruck, den er in Spiegel, Profil und Fernsehen verfolgt hatte: „Es scheint dringend angezeigt, von dem Konzept Jugendkultur mit den angegliederten Unterideen wie Pop, Underground, Dissidenz durch symbolische Dissidenz, Tribalismus, Revolte, Abgrenzung etc. zunächst mal Abschied zu nehmen. Sie scheinen nicht mehr in der Lage, die fundamentale Differenz, die allen Projekten zugrunde liegt, die wir in jugendkultureller Praxis gesehen haben, festzustellen: den Unterschied zwischen Nazis und ihren Gegnern.“

Die Karawane zog weiter, der Rave blieb

Als Stoßrichtung hieß es im nächsten Satz sehr temporeich zugespitzt: „Vom Rave zum Pogrom.“ Die Karawane ist trotzdem weitergezogen, der Rave geblieben, die Love Parade findet dieses Jahr zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor statt.

Was immer Diederichsen „zunächst mal“ mit dem Ende gemeint haben mag, bei den Jugendforschern Klaus Farin und Reiner Fromm ist die Drohung angekommen. Allerdings ziehen sie aus ihrem 1994/95 gedrehten Dokumentarfilm einen anderen Schluß: In „Skinheads“ laufen alle Sympathiekurven oder Konfliktlinien quer und durcheinander. Anfang der achtziger Jahre als Keimzelle der Neonazis gehandelt, ist die rechtsradikale Klientel zum größten Teil längst aus der Skinheadszene verschwunden. Trotzdem hat sich das Feindbild gehalten, hinter jedem Überfall auf Ausländer werden noch immer Skins vermutet. Die Meldungen über Rostock, Solingen und Mölln sind medienweit mit dieser Meinung gestützt worden: Während die Täter zumeist anonyme, unscheinbare Jugendliche oder Herren in Jogginghosen waren, hat sich die Gleichung vom Faschismus unter der Glatze komplett internalisiert.

Ein Mythos mit Folgen. Statt sich, wie ursprünglich Ende der sechziger Jahre, mit Doc-Martens- Stiefeln, Lonsdale-Hemden und Millimeterkoteletten als Arbeiterkinder vom bürgerlichen Spießer abzugrenzen (wie jeder Hippie, Rocker, Gruftie oder Punk auch), wird in den eigenen Reihen gefiltert, ob manche Skinheads nicht womöglich doch rechts rocken. Bei allem Desinteresse an Politik, so der Film, sind sich gerade Skins wegen ihrer Marginalisierung und gleichzeitigen Dämonisierung bewußt geworden, wofür oder wogegen sie stehen. Es ist diese Art nicht ganz freiwillig auferlegter Differenzierung, die die Szene andererseits von neuem zusammenschweißt. Das sei wie mit den Ausländern, meint ein stämmiger Österreicher, jeder könne die äußeren Zeichen schnell erkennen. Schon deshalb bestehe Handlungsbedarf, sich als Skin von Nazis abzusetzen, um nicht selbst geprügelt zu werden. Oder von echten Neonazis, wie der Film mit einem Treffen rechter Parteien in Belgien dokumentiert. Dort stellt ein JN- Sprecher aus Sachsen Skinheads als „Entartung des Systems“ dar.

Farins und Fromms Studie beginnt in einer Fußgängerzone: Kurzrasierte junge Männer in freundlich leuchtenden Bomberjäckchen verteilen antirassistische Flugblätter, als wären es Flyer für eine Techno-Party. Damit versucht man sich gegen die Abstempelung zum rechten Pack durch die Medien zu wehren – vergebens: „Wir können da nicht gegen an“, so Erik von den hessischen Stage Bottles. Wenig später erzählt Rüdiger Rossig, charmanter Skin und ehemaliger Balkan-Redakteur der taz von Zweifeln am hauseigenen Umgang mit der Szene, wo Punks schon mal mit Neonazis verwechselt werden. Er selbst hat die übliche linksbewegte Schizo-Jugend passiert – tagsüber K-Gruppe, abends Oi-Punk mit Kumpels –, in der das Politische leider vom Privaten getrennt bleiben mußte. Gerade die Zwangsbündnisse im linken Spektrum haben ihn am Ende jedoch aus der Partei und neben dem Journalismus vollends zur Musik gebracht. Auch das ist einer der Schwerpunkte, an denen sich der Film gerne orientiert: Im richtigen Skinheadleben geht es nicht autoritär, sondern liebevoll wie in einer Wahlfamilie zu.

Bei Berliner Ska-Konzerten sieht man schwarze Musiker auf der Bühne gut mit weißen Dickbäuchen wie Fatty von den Bad Manners auskommen, und in einem Londoner Club tanzen zwei japanische Girlies vorsichtig zu den sonst eher aggressiv und zackig treibenden Rocksteady-Beats der Gruppe 100 Man. Zumindest von England aus gesehen scheint die Welt ein harmonisches Gefüge, in das sich Skins ebenso wie Mods, Scooter Boys und Rastas mischen.

Ganz allmählich schwenken Farin und Fromm von der Lösung zurück zum Problem: Erst wollen die Bands mit dem Calypso-geprägten Sound eine Arbeiterklasse definieren, die nicht zwischen Schwarz und Weiß, sondern Oben und Unten trennt; dann wiederum heißen sie plötzlich SpringtOifel, spielen Brachialpogo und wollen nur Spaß, und schließlich muß sich auch „Skinheads“ durchs geschlossen rechte Lager der Skrewdriver, No Remorze oder Kraftschlag filmen. Man erkennt sie an den breit herumhampelnden Ärschen, die sich, braun eingefärbt, verfremdet in Zeitlupe bewegen. Eine vorbeugende Maßnahme der Filmemacher, um Mißverständnisse beim eigenen Publikum zu vermeiden. Nazis können nicht tanzen.

Die Szene von Rechten sauber halten

Auch die Musik klingt eher nach stumpfen Rocksongs, die je nach Parole hingebogen werden. Darin liegt jedoch das Dilemma, aus dem Farin und Fromm nicht so richtig zurück zum guten Skintum finden. Wenn heutige Sharp-, Antifa- und Red-Skin-Gruppen Rechte in den eigenen Reihen nicht mehr tolerieren, findet der junge Neonazi eben Normalos zum Vermischen. Das hält zwar „die Szene sauber“, wie ein Aktivist aus dem Ruhrgebiet meint, aber an der Polarisierung ändert es nichts. Oder wie Markus Repkow als Sharp-Skin in Spex drei Monate nach Diederichsens Verabschiedung klagte: „Ich werd' natürlich auch oft gefragt, warum ich überhaupt noch Skinhead bin, aber das ist 'ne Trotzreaktion, ich laß mir von den Pennern meinen Stil nicht wegnehmen.“ Als Argument reicht dieser Wille zum Stil auch in „Skinheads“ kaum über den Abspann hinaus. Der Rest ist guter Ska.

„Skinheads“, Regie: Klaus Farin, Reiner Fromm. Informationen: (030) 694 29 34. Fax: (030) 691 30 16

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